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Ernst Dronke: Auszüge aus Berlin (1846)

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Die Lokomotive pfeift. Von Trebbin, der letzten Station der Anhaltischen Eisenbahn, zieht es sich noch beinahe fünf Meilen lang gleichförmig, ununterbrochen fort, aber schon hier zeigt uns die Gegend die nähernde Nähe des großen, traurigen Sandmeeres, in dessen Mitte die große Stadt gleichsam als eine Oase liegt. Hinter uns, so flach und eintönig auch die Landschaften waren, boten sich doch zuweilen lachende Auen und grüne Waldstriche den Blicken dar; hier aber streckt sich unabsehbar eine graue, dürre Heide vor uns aus, nur manchmal von vergelbtem Kartoffelkraut und einsamen, zwergartig verkümmerten Heidesträuchern besetzt. Den Eisenbahnzug begleiten dichte Wolken eines feinen, scharfen Staubes, welche dem Reisenden fast mitleidig den traurigen Anblick dieser Fahrt verhüllen. Keine freundliche Meierei, keine lachenden Felder, nicht einmal Fahrgleise von Wagen oder Fußsteige gewahrt man stundenweit in dieser Gegend, welche fast von allen verlassen wird, um Ersatz in der Stadt selbst zu suchen. Es ist öde und still ringsum, ein trauriges Bild; und doch charakteristisch, passend als Vorhof oder Vorbereitung für die nahe Stadt. Diese flache, unfruchtbare Ebene mit dem ätzenden Staub, in deren Boden der Wanderer beinahe versinkt, mag den Fremden beim ersten Anblick an das Berliner geistige Element erinnern. Es ist ihm das Bild unfruchtbarer Kritik, in deren Boden von alters her die Mistbeet- und Treibhausblümchen der Dichter oder Künstler nicht gedeihen noch sich selbständig entwickeln konnten, wo der Staub der Vergessenheit bis in die neueste Zeit so manche Größe bedeckte. Wer aber aus andern Gegenden, aus Thüringen oder vom Rhein, hierherkommt, wird sicher von einem Gefühl der Trauer oder Wehmut überfallen. Der Anblick dieser öden, gelben, schweigenden Heide, wo selbst im hohen Sommer die armen Vögel kaum ihre Nahrung finden, übt einen seltsamen Eindruck auf uns, vielleicht auch ist es der scharfe Staub, der uns in die Augen fliegt [ . . . ] doch Geduld! Schon nähern wir uns mehr und mehr der Stadt, die uns in ihren eigenen Schöpfungen Ersatz bieten soll für die stiefmütterliche Behandlung der Natur.

In einiger Entfernung gewahren wir einzelne Hüttendächer benachbarter Dörfer, und zur Rechten taucht die Spitze eines Monuments auf einer niedrigen Anhöhe auf: der Kreuzberg, auf dem die Berliner im Sommer ihre schöne Natur genießen. Noch ein langer schrillender Pfiff, und die Wagen rollen durch eine lange Reihe von Gebäulichkeiten, an hüttenartigen Tabagien vorbei und in den Bahnhof hinein. So ist man denn in der Stadt der Intelligenz angekommen. An der Auffahrt stehen dichte Haufen von Leuten jeden Schlages, an der Spitze aber einige Polizeibeamte. Diese Einrichtung ist sehr zweckmäßig; die roten Kragen, auf welche der erste Blick fällt, sind das lebendigste Warnungsschild, zu bedenken, wo man sich befindet. Hinter diesen bemerkt man anständig gebildete Herren von zweifelhaftem Aussehen, und Ihr werdet recht tun, beim Vorüberstreifen dieser Leute Eure Hände fest in die Taschen zu drücken. Seid Ihr an diesen vorüber, so begegnen Eure Augen wohl einigen lieblichen, zarten Mädchengesichtern, deren keuscher Blick und ebenso eleganter wie geschmackvoller Anzug den Unerfahrenen in ehrfurchtsvollen Schranken halten; vielleicht auch fällt einer dieser Blicke voll tiefem Ausdruck auf Euch, und Ihr werdet plötzlich mit Lebhaftigkeit angegangen:

„Heinrich, Franz, Jonathan, Nepomuk! — Bist Du endlich da, ich habe Dich erwartet!"

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