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Wilhelm Heinrich Riehl: Auszug aus Land und Leute (1851)

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Wesentlich anders ist es in Mitteldeutschland und dem Südwesten, dem Paradies der deutschen Kleinstaaterei. Hier zeigt sich in der Tat eine mit Riesenschritten fortschreitende Ausgleichung der Unterschiede zwischen Stadt- und Landgemeinden. Nur die höheren Gebirgsstriche, deren ich schon oben gedacht, sind auch hier auszunehmen. Die sozialen Gleichmacher nehmen dann gern diesen kleinen Teil für das Ganze und schreiben ganz Deutschland zu, was doch nur von diesem Kleindeutschland im engsten Sinne gilt. In den großen Ländermassen Süd- und Norddeutschlands hat der Dreißigjährige Krieg die Städte nachhaltiger heruntergebracht als die Dörfer. Der mecklenburgische, pommersche, altbayerische Bauer ist heute noch eine gewichtigere soziale Macht als die Bürger dieser Landstriche, deren Kleinstädte oft soziale Ruinen geblieben sind. In dem zerstückelten Mitteldeutschland dagegen, wo obendrein der Bauernkrieg dem Dreißigjährigen vorgearbeitet hatte, wo beim Kampf der vielen kleinen Reichsstände um die Souveränetät die Kleinstädterei die beste Hege und Pflege fand, blühten die Städte zuerst wieder auf. Krüppelhaft genug war zwar diese Blüte in der armseligen Perücken- und Zopfzeit: allein die zahlreichen Fürsten- und Bischofsstädte bildeten doch immerhin den bestimmenden Mittelpunkt von hundert winzigen Gebieten. So beherrschten hier die kleinen Städte das 18. Jahrhundert; die großen werden das 19. beherrschen. Dieser Satz wird am einleuchtendsten bei einem Blick auf die Geschichte Mitteldeutschlands.

Eine der traurigsten Folgen des Dreißigjährigen Krieges besteht überhaupt meines Dafürhaltens darin, daß in so vielen deutschen Gauen das richtige Verhältnis zwischen Stadt und Land verschoben, ein einseitiges Vorwiegen zuerst der kleinstädtischen, dann der großstädtischen Interessen über die Interessen des Landvolkes möglich gemacht, und so eine in sich hohle, aller Naturkraft bare Blüte des städtischen Lebens geschaffen worden ist neben einer im Kern zwar gesunden, aber in ihrem materiellen Bestand zurückgeschobenen, sozial und politisch vereinsamten Landbevölkerung.

Nach dem Westfälischen Frieden traten in Mitteldeutschland all die traurigen Anzeichen ein, welche die vollendete Parzellierung der meisten Bauerngüter und damit die Zerstörung der bäuerlichen Macht verkündigen. Es verschwindet zuerst die starke Pferdezucht, die große geschlossene Güter voraussetzt. Dann nehmen die Zugochsen ab, dann die Kühe, und zuletzt bleiben nur noch die Ziegen übrig als das eigentliche Haustier des vierten Standes, welches man, ohne eigenen Besitz, auf den Ödungen, an den Grasrändern der Wege und, wenn die Armseligkeit vollendet ist, in den grasbewachsenen Gassen der Dörfer und Städtchen vagabundierend weiden lassen kann.

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