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Rede von Louise Otto, erste Vorsitzende des Allgemeinen deutschen Frauenvereins, bei der 3. Generalversammlung (1869)

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Verzeihen Sie, verehrte Anwesende, wenn ich nicht umhin kann, noch erfüllt von dem unvergeßlichen Eindruck, den uns die eben erlebten Tage in Frankfurt [beim Philosophen-Kongreß, wo sie und Louise Gutbier waren und wo letztere eine Rede hielt] gewährten, dahin zu blicken und damit scheinbar von unserer Versammlung abschweife. Es ist eben nur scheinbar! Ich gestehe, daß ich schon von früher Jugend an immer etwas kühn gewesen bin in den Forderungen und Hoffnungen, die ich mit einer würdigeren Stellung des weiblichen Geschlechts verknüpfe – das aber, was wir jetzt erlebten, hatte ich weder zu fordern, noch zu hoffen gewagt! Ich hatte es nie für möglich gehalten, daß deutsche Philosophen, Vertreter und Professoren der höchsten Wissenschaft, sich herbeilassen würden, bei ihren Versammlungen die Mitwirkung der Frauen willkommen zu heißen! Schon im vorigen Jahre hatten sie uns aufgefordert, mit in Prag zu erscheinen – wir wagten es damals noch nicht, hinzugehen – aber eine unserer dort weilenden Genossinnen, Frau J. Hoff, hielt daselbst einen Vortrag. [ . . . ] Solchen Erfolgen gegenüber verliert sich allmählich das Zagen auch für die deutsche Frau: ob es denn nun endlich einmal Zeit sei, das Wort Selbsthilfe als Losungswort auszusprechen und freudig und zuversichtlich, wenn auch immer noch nur Sandkorn tragend, mitzuarbeiten am Tempelbau der Humanität, der da errichtet werden muß, so wie von je unser deutsches Volk seine heiligen Dome baute, aus den Opfergaben der einzelnen, den Opfergaben von Mann und Weib, ein Dom, darin nicht allein der Traualtar steht, an dem Mann und Weib ihren Liebesbund heiligen, sondern auch der Hochaltar der Menschheit, an welchem nun Frauen und Männer zugleich sich weihen, dem Reiche Gottes zu dienen, damit es schon auf Erden sich verwirkliche. Und so vereinigen Sie sich mit uns, damit auch hier und heute Sandkörner getragen und Scherflein geopfert werden zu solchem Dombau! – Als ich unter das Programm dieser Versammlung das Wort schreiben konnte: im Saale des Arbeiterbildungsvereins, da ward mir schon damit eine besondere Freude, ich nahm das Wort als ein Zeichen guter Vorbedeutung! Wir stellen uns auf die Seite der Arbeit und der Arbeiter, wir proklamieren die Heiligkeit der Arbeit und der Bildung auch für die Frau und wir dürfen hoffen, daß diejenigen Arbeiter, in deren Lokal wir tagen, in uns keine gefährlichen Konkurrentinnen sehen, sondern Schwestern, die gerade so wie sie ein Recht haben, an die Verbesserung ihrer Lage zu denken, Hand in Hand mit ihnen. Und als ich nun hier sah, wie man uns diesen Saal mit freundlichem Grün geschmückt, da begrüßte ich auch darin ein Symbol: daß wenn auch jetzt noch unser Allgemeiner Deutscher Frauen-Verein einer Pflanze gleicht, der nur erst in Scherben gepflanzt wird und von uns wie von sorglichen Gärtnern noch vor zu viel rauher Luft gehütet werden muß, doch bald ein Baum daraus werde, im öden Garten der Menschheit zu blühen und Früchte zu tragen.



Abgedruckt in Ruth-Ellen Boetcher Joeres, Die Anfänge der deutschen Frauenbewegung: Louise Otto-Peters. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1983, S. 198-99.

Wiedergabe auf dieser Website mit Erlaubnis des Fischer Taschenbuch Verlags, Frankfurt am Main.

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