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Auszüge aus zwei Predigten von Friedrich August Tholuck: „Was ist die menschliche Vernunft wert?” (um 1840) und „Wann ist die größere bürgerliche Freiheit für das Volk ein Glück?” (1848)

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Nur die Freien, in deren Gewissen die Liebe Gottes am unbedingtesten herrscht, sind wahrhaft frei. Das ist's, was der Ausspruch sagt: wer Sünde thut, der ist der Sünde Knecht. Eine Freiheit, die den Menschen wahrhaft frei und wahrhaft glücklich macht, giebt's in dem Maße nur, als die Sünde stirbt, und wahrhaft absterben kann die Sünde nur, wo Gottes Liebe zu Kräften kommt. Gott dienen ist die höchste Freiheit, in dem Worte des Kirchenvaters Augustin habt ihr das Geheimnis der wahren Freiheit aufgeschlossen. Wann nämlich ist ein Mensch frei? Werdet ihr nicht sagen müssen: wenn nichts ihn hemmt, seine wahre Bestimmung zu erreichen. Ist nun das die Freiheit im höchsten Sinn — was auch immer politische Freiheit dem Menschen gewähren kann, der tiefste Grund, warum wir Knechte bleiben, liegt da nicht. Es ist wahr und offenbar, daß es auch Schranken des bürgerlichen Lebens giebt, verkehrte Einrichtungen und Gesetze der Gesellschaft, welche die von Gott verliehenen Kräfte binden, statt sie zu lösen, den Menschen niederdrücken, statt ihn zu heben. Von solchen bürgerlichen Fesseln die Freiheit zu erringen, heißen wir darum ein Gut. Wenn die, welche Pietisten geschmäht werden, bloß weil sie Christen sind, das Evangelium recht verstehen, so sind sie wahrhaftig keine Freiheitsverächter; wißt ihr nicht, was Paulus den Korinthern zuruft: „Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.“ Ein bürgerliches Gemeindewesen hat nämlich die Aufgabe, die Erfüllung menschlicher Bestimmung auf alle Weise zu fördern. Dazu haben Menschen Staaten gegründet; Staaten sind Leiber, und am Leibe dient jedes einzelne Glied dem andern zu seinem Bestande, zu seiner Wirksamkeit, zu seinem Wohlsein. So soll ein bürgerlicher Gemeindesinn dazu mithelfen — ich sage nur mithelfen, denn der gute Wille aller einzelnen gehört mit dazu — jedem, der arbeiten will, seinen Unterhalt zu verschaffen, denn, wo der Leib darben und siechen muß, kann der Geist nicht aufleben. Und dem Leibe soll seine Notdurft geschafft werden, damit der Geist die von Gott in ihn gelegten Triebe und Kräfte entwickele, auch das sollen die bürgerlichen Einrichtungen nach Kräften fördern. Und da endlich aller von Gott in uns gepflanzten Triebe höchster der Trieb nach Gott ist, und alle menschliche Bestimmung ihre Spitze darin erreicht, ein Mensch Gottes zu sein, so kann auch ein Staat keine höhere Aufgabe und kein höheres Ziel für sich erkennen, als die Religion unter seinen Bürgern zu pflegen und zu pflanzen. Zu den Freiheitslosungen dieser Zeit, die von einem Munde zum andern sich fortpflanzen, gehört freilich auch die von Trennung von Kirche und Staat, und wir wissen es, daß manche von den Herzen, die für Christum am wärmsten schlagen, nach ihr verlangen. Soll nun damit nichts anderes gemeint sein, als die Unabhängigkeit der Kirche von weltlichem Regiment, so wollen wir eine solche wohl willkommen heißen, zumal jemehr eine Kirche schon gekräftigt genug ist, im Geiste des Herrn sich selbst zu erbauen. Wo es aber die Gleichgültigkeit meint des Staats gegen die Äußerung des edelsten der menschlichen Triebe, gegen die Religion, da ist es ein Verrat an der edelsten seiner Aufgaben. Geradezu kämpfen darum müßten gute Bürger, daß der Staat, der Ackerbau pflegt und Schiffahrt, Kunst und Wissenschaft, doch die Pflege des Gutes nicht vergesse, das höher ist als sie alle, der Religion. So ist denn — das wollten wir nur aussprechen — bürgerliche Freiheit zu erlangen allerdings ein Gut, wo bürgerliche Einrichtungen so beschaffen sind, daß sie den Menschen hemmen und beschränken, seine wahre Freiheit zu erlangen. Ist aber der Gipfel aller menschlichen Bestimmung darein gefaßt, ein Mensch Gottes zu werden, o sagt, wie sollte unsere wahre Freiheit schon damit erlangt werden, daß alle äußeren Schranken und Hemmnisse fallen? Was wir aber

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