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Auszüge aus zwei Predigten von Friedrich August Tholuck: „Was ist die menschliche Vernunft wert?” (um 1840) und „Wann ist die größere bürgerliche Freiheit für das Volk ein Glück?” (1848)

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Blindheit mit solchem Freiheitsschwindel Hand in Hand geht, der blindlings nur nach politischen Rechten trachtet. Wie haben nach jenen Tagen der Revolution die ersten Begriffe von Recht und Pflicht im Urteil der Menschen sich verkehrt! Zu Verbrechern gestempelt sind die Truppen worden, die heilige Eide nicht haben brechen wollen. Zu Freiheitskämpfern dagegen gestempelt diejenigen, welche, nach den bereits erteilten Freiheiten, wo nicht aus freiwilligem Gelüst, so doch aus traurigem Irrtum die Waffen des Aufruhrs erhoben haben. Und wie viele Irrtümer gröbster Verblendung, die bis auf diese Stunde unter alt und jung wuchern und geflissentlich von frevelnder Lippe selbst in die Hütten der schlichten, redlichen Arbeiter und des einfachen Landmannes getragen werden. Da soll kein Herrscher und kein Diener mehr sein, während es vor aller Augen offenbar ist, daß Natur selbst zum Sceptergriff die eine Hand geschaffen hat, zu Pflug und Spaten die andere; da soll nur losgebunden, nur freigemacht werden alles und in allen Verhältnissen, während doch dem einfachsten Blick offenbar ist, daß Freiwerden das Glück des Menschen noch nicht macht, sondern Freiheit gebrauchen können. Wenn ihr dem zehnjährigen Kinde die Freiheit gebet, und es hinstellt und sprechet: „Mein Kind, du bist frei“, ist denn das sein Glück? Doch Bildung und immer wieder nur Bildung, das soll das Zaubermittel sein, das den Gebrauch der Freiheit lehren soll, ob es gleich tausendmal die Geschichte gepredigt hat, was für eine weite Kluft zwischen Kopf und Herz im Menschen befestigt ist, und daß der aufgeklärte und gebildete Kopf im Dienste eines bösen, gottvergessenen Herzens zu nichts anderem dient, als ihm die Schleichwege anzuzeigen, die Gelüste seines Herzens zu beschönigen. Aber jenes allein zureichende Mittel, das Herz des Menschen umzubilden, die Religion, die soll ja aus der Schule ausgetrieben werden. Während die Geschichte lehrt, wie in der Kindheit der Menschheit Religion der heilige Same gewesen ist, aus dem alle Bildung des Menschen hervorgegangen, während die Erfahrung von Jahrtausenden lehrt, daß gerade die Kinderherzen vor allen andern für die Religion empfänglich sind, während Christus, der Heiland, ruft: „Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn solcher ist das Himmelreich“, und mit dieser Überschrift alle Schulstätten zu Pflanzstätten der Kirche weiht, soll nun die Religion wie ein überflüssiges Möbel aus der Schule ausgetrieben werden. Aber frei! frei! lautet nun einmal die Losung, und mit gebundenem Auge wird gelöst und getrennt, was mit wachem Auge, wenn der Taumel vorüber ist, vielleicht keiner wieder wird zusammenbinden können. Im Anfang ist ein gut Behagen, doch die Last, die muß das Ende tragen. Schon aus jenem Übermute und dieser Blindheit nehmt es ab, daß ein Volk sein wahres Glück verscherzt, das nach keiner andern Freiheit strebt als nach der bürgerlichen.

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