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Auszüge aus zwei Predigten von Friedrich August Tholuck: „Was ist die menschliche Vernunft wert?” (um 1840) und „Wann ist die größere bürgerliche Freiheit für das Volk ein Glück?” (1848)

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Die bürgerliche Freiheit, spreche ich mit dem Sohne Gottes, ist die wahre Freiheit, die Freiheit im höchsten Sinne noch nicht. [ . . . ] Wo auf nichts anderes der Sinn eines Volkes steht, als von den Menschen sich zu emanzipieren, da wird jener Übermut geboren, der keinerlei Bande der Abhängigkeit mehr ertragen will, die an Menschen binden, nicht die der Ehrfurcht, nicht die der Dankbarkeit, nicht die der Pietät; da sollen selbst alle Rang- und Stufen-Unterschiede unter den Menschen fallen. Der Staat ist ein Leib, ein Leib hat verschiedene Glieder, ungleich an Ehre und Würde, obwohl allzumal zum Bestehen des Leibes notwendig, herrschende und dienende, Ohr und Auge, Füße und Hand; wo aber der Übermut im Gefolge eines schwärmerischen Freiheitsdranges erwacht ist, da wollen die Glieder die Stelle nicht mehr anerkennen, die ihnen Gott am Leibe angewiesen hat, da will jedes Glied Aug und Ohr sein. Solcher Freiheitsschwindel gebiert den Übermut gegen Menschen, denn er ist selbst aus dem Übermute gegen Gott geboren. Im Brief Judä wird von gottlosen Menschen gesprochen, Träumer werden sie genannt, und wird von ihnen gesagt, daß, weil sie Gott verachten, sie auch die Herrschaften verachten und die Majestäten lästern. Unter allen Gefühlen der Ehrfurcht ist das gegen die Gottheit das älteste und ehrwürdigste. Wer aber vor göttlicher Majestät seine Kniee zu beugen aufgehört hat, wie wird der noch unter den Menschen ein Scepter anerkennen, das von Gott zu Lehn empfangen ist, und das keine Hand von Fleisch und Blut antasten darf? Und wer's nicht mehr anerkennen will, daß es Stirnen giebt, welche die Geburt und Natur selbst zum Diademeskranz gebildet, wie schwerlich wird der noch überhaupt vor denen, die Gott als die edleren Glieder am Leibe der Menschheit gesetzt hat, sich beugen wollen! Sehet da das Fürchterliche einer Revolution, wo wider Recht und Gesetz die Hand von unten nach dem Scepter greift, um es zu knicken, wie sogleich alle Banden der Ehrfurcht, der Pietät und des Gehorsams vom entzügelten Übermute abgeschüttelt werden. O der eine, erste Gesetzesbruch, den ein ganzes Volk heilig spricht, was für ein Heer von gebrochenen Rechten und Eiden, von übermütigen Gewaltstreichen und freventlichen Gelüsten zieht er nach sich! Das deutsche Sprichwort sagt: vom einmal angeschnittenen Brote schneiden alle lüsternen Kinder. Dieser Geist des Übermuts, er ist auch jetzt unter alt und jung ausgefahren. Jünglinge dieser Hochschule, in der weit ausgedehnten Befleckung ist euer Name unbefleckt erhalten worden; Recht und Gesetz hat in jenen verhängnisvollen Tagen euch mehr gegolten als berauschtes Zeitungslob; mit der Besonnenheit, die Männer ziert, habt ihr euch auf der zwar schmalen, aber festen und geraden Straße eines gesetzmäßigen Fortschrittes halten lassen. Ihr wißt, daß in keinem Alter mehr, als im Jünglingsalter das Unkraut des Dünkels und des Übermuts wuchert, darum wachet, wachet, und wollt ihr in diesen versuchungsvollen Zeiten lernen, vor rechtmäßigen menschlichen Autoritäten euere Kniee beugen, lernet sie beugen vor Gott! Sehet weiter die argen Früchte solcher Freiheitsschwärmerei an der Blindheit dieser Juden. „Wir sind niemals jemandes Knecht gewesen“, wagen sie zu sprechen und vergessen ihre lange Gefangenschaft und wollen's nicht Wort haben, daß das römische Scepter jetzt über sie gebietet. Es ist nicht zu sagen, welche

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