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Auszüge aus zwei Predigten von Friedrich August Tholuck: „Was ist die menschliche Vernunft wert?” (um 1840) und „Wann ist die größere bürgerliche Freiheit für das Volk ein Glück?” (1848)

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Als die deutsche Fahne auf dem Rathause unserer Stadt gepflanzt wurde, und das Lied erklang: „Nun danket alle Gott“, da stand unter anderen Bürgern auf dem Markte einer, den man zu seinem Nachbar sagen hörte: „Jetzt singen sie: nun lobet alle Gott, wer weiß, ob sie übers Jahr nicht singen müssen: Herr, hilf uns aus der tiefen Not.“ Man darf wahrlich nicht zu den blinden Bewunderern des Alten gehören, um nach dem, was wir erlebt, solchen Befürchtungen Raum zu geben. Es mögen berechtigte Kräfte entfesselt worden sein, aber wo sie durch eine Revolution entfesselt werden, da wachen jedesmal so viele Kräfte der Hölle mit auf, die dann keine Menschenkraft wieder zügeln kann. Wer auf dem Wasser fährt, hat den Wind nicht in der Hand. Wenn es kein Gut der Erde giebt, das dem Mißbrauch nicht unterläge, selbst die Religion nicht ausgenommen, wie nahe liegt gerade bei wachsender bürgerlicher Freiheit der Mißbrauch! Wir müssen also mit Ernst die Frage euch vorlegen: wann ist die größere bürgerliche Freiheit für ein Volk ein Glück? — Wir lassen Christum antworten; er spricht Joh. 8, 31—36:

„Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: so ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr
meine rechten Jünger, und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Da antworteten sie ihm: wir sind Abrahams Samen, sind nie keinmal jemandes Knechte gewesen; wie
sprichst du denn: ihr sollt frei werden? Jesus antwortete ihnen und sprach: wahrlich, wahrlich, ich sage
euch: wer Sünde thut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht aber bleibet nicht ewiglich im Hause; der Sohn
bleibet ewiglich. So euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.“

Christi Antwort auf unsere Frage lautet nach diesen Worten: nur dann ist die größere bürgerliche Freiheit ein wahres Glück, wenn im Gewissen dieser Freien die Liebe Gottes am unbedingtesten herrscht. Näher liegt dreierlei in diesem Ausspruche: 1) Bürgerliche Freiheit ist die wahre Freiheit, d. h. die Freiheit im höchsten Sinne, noch nicht. 2) Nur die Freien, in denen die Liebe Gottes am unbedingtesten herrscht, sind wahrhaft frei. 3) Diese Freiheit giebt nur der Sohn, der wahrhaft Freie.

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