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Auszüge aus zwei Predigten von Friedrich August Tholuck: „Was ist die menschliche Vernunft wert?” (um 1840) und „Wann ist die größere bürgerliche Freiheit für das Volk ein Glück?” (1848)

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wie er fragt: „Ihr aber, weil ich die Wahrheit sage, so glaubet ihr nicht; welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ Ja, und das eben ist es, was die Kinder dieser Zeit am Evangelium nicht leiden wollen, daß es die Wahrheit in göttlichen Dingen in so enge Verbindung setzt mit der Heiligung, daß es eine so gesunde Vernunft nur geben soll, wo der rechte Zug des Herzens ist zu Gott. Nur lernen wollen sie, aber nicht beten, nur Bildung der Vernunft, aber nicht Heiligung des Herzens. Aber wie bei Christo das heilige Herz das Auge ist, womit er Gott geschaut, so zeugt mit unserem Texte das ganze N. T. davon: nur durch ein göttliches Leben wird der Mensch Gott inne, nur durch die Reinigung des Herzens wird unser Seelenauge rein und klar!

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[Kapitel] IXX. Wann ist die größere bürgerliche Freiheit für ein Volk ein Glück?

Geliebte in dem Herrn! Am Schlusse des verwichenen Halbjahrs haben wir einen Umschwung der Dinge erlebt, nach welchem jeder jeden und jedes Verhältnis mit einem andern Auge wiedersah. Seit jenen verhängnisvollen Tagen haben auch wir uns an dieser Stätte nicht wiedergesehen; auch wir sehen uns jetzt in mehr als einer Hinsicht mit andern Augen wieder. Zunächst wir Theologen. Das Losungswort Freiheit ist aus den Volksversammlungen in die Kirche hineingedrungen mit dem Klange, der bei vielen wenigstens nur zu sehr erinnert an das: „Dieser soll nicht über uns herrschen!“ Im Hinblick auf das, was der Kirche in kurzem bevorsteht, sehen wir uns in einer gehobeneren Stimmung wieder, ich möchte sagen — wie Freunden zumute ist, die vor einem heißen Schlachttage sich begegnen. Auch ihr akademischen Bürger allzumal seid in eine neue Laufbahn eingetreten. Das Wörtlein Freiheit, das ohnehin schon gerade junge akademische Herzen mit solcher Zaubermacht durchzittert, schallt mit verdoppeltem Echo aus den bürgerlichen Kreisen in die akademischen herüber. Euer ganzes akademisches Leben will anfangen, sich in freieren Schwingungen zu bewegen. Nun aber lasset uns alle daran denken, an welcher Stätte wir hier stehen. Hier stehen wir an der heiligen Stätte, wo alle menschlichen Losungsworte auf nie irrender Wage gemessen werden müssen. Uns kommt daher vor allem zu, das vieldeutige Wort Freiheit heut' zu wägen und messen. Euch loben, euch glücklich preisen will ich heut' absichtlich nicht, wenn auch, wenigstens im Blick auf die fernere Zukunft, Hoffnungen wach werden dürfen. Aber des Honigs wird in diesen Tagen allenthalben viel gereicht, soll nicht gerade die Kanzel zu dem Honig auch göttliches Salz hinzuthun? Denket also daran, daß es dieses Ortes ist, uns mit unserer Freiheitslosung heut' unter Gottes Wort als unsern Richter zu stellen.

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