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Erich Mendelsohn, „Die internationale Übereinstimmung des neuen Baugedankens oder Dynamik und Funktion" (Auszüge, 1923)

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Wird aber dieses graphische Verfahren, also eine zweidimensionale Erkenntnis, in den Raum übertragen, ohne lebendige Beziehung zur dritten Dimension der Tiefe, die aus den elementaren Raumbildern von Kubus, Kugel und Zylinder erst einen räumlichen Organismus schafft, so entsteht sofort die Gefahr einer intellektuellen Konstruktion. Der Gefahr des unbeherrschten Temperaments bei der Dynamik entspricht hier die gleich große Gefahr der allzu bewußten Abstraktion. Blutfülle und Blutleere sind beides Gefahrzonen für das lebendige Schaffen.

Nachdem die Gefahren beider Prinzipien, der dynamischen und der funktionellen Einstellung erkannt sind, wird der Gegensatz des Schlagworts zum eigentlichen Wesen der Funktion schnell klarwerden.

Dieser Zangenkran vom Beginn des Abends, dieses eindeutige Greiforgan, ist das typische Beispiel einer reinen maschinellen Funktion.

In die Baukonstruktion übertragen, erweitert sich dieser vulgäre Begriff des Funktionierens zur Funktion in mathematischem Sinn der zwangsläufigen Abhängigkeit. Das Pendellager einer Kanalbrücke, das im Obergurt der Brücke die mittleren Schwebeträger mit den Kragträgern verbindet, wirkt nur, sobald nämlich die Verkehrslast hinzutritt, als logische Funktion von Obergurt und Untergurt.

Während also die Tätigkeit der Maschine – ihr Greifen, Ziehen, Reißen – eine reine Zweckfunktion darstellt, – während also die Funktion in der Baukonstruktion nur die mathematische Zwangsläufigkeit darstellt, – darin die Funktion in der Architektur nur die räumliche und formale Abhängigkeit bedeuten von den Voraussetzungen des Zwecks, des Materials und der Konstruktion. Deshalb erscheint es mir unmöglich, die Zweckfunktion der Maschine irgendwie auf den Raum übertragen zu wollen oder die technische Organisation auf den Organismus der Architektur. Wir Architekten haben von vornherein die stofflichen Erfordernisse und konstruktiven Zusammenhänge als selbstverständlich unserer Planung zu unterlegen, wir haben sie einfach als Voraussetzungen der gesamten Organisation eines Baues anzusehen. – Aber wir müssen wissen, daß sie nur der eine Komponent des produktiven Prozesses sind.

Er allein schafft trotz großer Abmessungen und klarer Beziehung der technischen Mittel noch keine Architektur. –

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