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Erich Mendelsohn, „Das neuzeitliche Geschäftshaus" (1929)

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Sie machen gerne Anleihen bei der Geschichte und schmücken sich mit erborgter Eleganz – aber trotzdem geht ihre Liebe zur smarten technischen Linie, zum modernen Leben mit Paquard, Zeitlupe und vollendeter Statistik.

Solche Gedankenlosigkeit ist aber durchaus nicht Privateigentum nur unseres Landes. Sie feiert in allen Ländern Orgien und die allerausgedehnteste in Amerika, aus Rekordgründen, aus Snobismus. Aber sie wird deshalb nicht entschuldbar und bleibt unwürdig einer Welt, die überaus konsequent ist überall dort, wo ein hörbar klingender Nutzen herausspringt aber nur zu gern inkonsequent dort, wo das Geld sich in [unleserliches Wort], in Kultur zwar langsam aber ungeheuer zäh umsetzt.

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M.D. u. H. Der Sinn eines jeden Geschäftes ist die Ware, d.h. ihr möglichst rascher und nutzbringender Umsatz. Die Ware also ist das Primäre, d.h. der Notwendigkeit ihrer eindrucksvollsten Anpreisung dienen alle kaufmännischen und baulichen Maßnahmen. Insbesondere der Bau hat/ neben der selbstverständlichen Beobachtung seiner technischen Voraussetzungen/ sich von dieser Grundbedingung des Geschäftes bei jeder Phase der Projektierung und der Durchführung leiten zu lassen.

Licht und Verkehr sind die Prüfpunkte seiner Güte. Licht, d.h. die zureichende Beleuchtung der Verkaufsräume und der Ware bei Tage – durch Fenster und Höfe – und die wirksame und kauffördernde künstliche Beleuchtung. Verkehr, d.h. zusammenhängende Verkaufsräume, übersichtliche Anordnung der Lager, richtige Lage der Treppen und Fahrstühle, unbehinderter Zu- und Abgang. Zusammengefasst: Leichte Orientierung für das Publikum. Die Anfänge des Warenhauses Wertheim an der Leipzigerstraße liegen 30 Jahre zurück. Damals bahnbrechend bietet es heute ein ganzes Lehrbuch der Entwicklung.

Gegenüber dem Pariser Printemps aus der 2. Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, dessen ornamentübersäte Treppenspirale die ersten Möglichkeiten des Eisens als Baustoff ebenso [unleserliches Wort] wie ohne Rücksicht auf Geschäft und Warenauslage, bedeutet der Wertheimsche Lichthof schon eine außerordentliche Bescheidenheit und Selbstdisziplin. Aber leider hat die amerikanische Rolltreppe Messels Pompeji noch einmal und sicher für alle Mal gründlich verschüttet.

Viele Jahre später erdrückt die Holzarchitektur des KDW mit Bankettsaallüster und Detailmassen die Proportion der Auslageschränke, in denen und auf denen die Ware ein scheinbar nebensächliches und uninteressiertes Dasein fristet.

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