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Lex Zwickau (1924) und Stellungnahmen dazu (Januar 1932)

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B) Brief Martin Ulbrichs an Friedrich von Bodelschwingh


Dr. theol. Martin Ulbrich
zu Magdeburg, Pionierstr. 13

Magdeburg, den 16. Januar 1932

Lieber Bruder von Bodelschwingh!

Obwohl ich mich seit dem 1. Mai d. J. im Ruhestand befinde, geht meine Arbeit in den Anstalten, deren Vorstandsmitglied ich geblieben bin, honoris causa weiter. Aus diesem Grunde hat man mich gestern vom hiesigen Konsistorium aus telefonisch angerufen, ob mir bekannt sei, dass von staatswegen geplant sei, die Pflegesätze der karitativen Anstalten um 40 % herabzusetzen. Ich möchte mich darüber orientieren. Eine derartige Kürzung wäre der Tod unserer Anstalten, die bereits schon einmal ihre Stärke stark ermässigt hatten. Kannst Du mir Näheres sagen, und was werdet ihr im gegebenen Falle tun? Im Ganzen gehts in Cracau noch befriedigend gegenüber der Not der anderen Anstalten. Wir haben die Häuser ziemlich voll und ein gutes Hinterland. Aber 40 % Abzüge vertragen wir nicht, schon wegen der Schuldenzinszahlung. Sei so freundlich und lass mich Näheres wissen.

Sodann etwas anderes. Seit längerer Zeit beschäftige ich mich mit der „Lex Zwickau“ und streite mich mit ihrem Urheber, dem Medicinalrat Dr. Boeters, herum, der die fakultative Sterilisierung im Freistaat Sachsen bereits durchgesetzt hat und ihr jetzt im ganzen Reiche Geltung verschaffen möchte. Mit der Vorlage beschäftigt sich bereits der Ausschuß für die Reform unseres Strafrechtes, und es besteht Aussicht, dass die Sache ins neue Strafgesetzbuch kommt. Vor 10 Jahren spukte das Euthanasiegesetz, gegen das ich meine Schrift richtete: „Dürfen wir minderwertiges Leben vernichten?“ Heute kommt sogar unter Zustimmung evangelischer Geistlicher und der Mehrzahl der Ärzte diese üble Sache. Ich habe mir die Lex Zwickau verschafft und lege Dir eine Abschrift bei. In Sachsen hat Dr. Boeters neulich die 52. Unfruchtbarmachung durch Kastration vollzogen.

Ich möchte zu meiner Schrift von damals eine zweite setzen: „Dürfen wir Minderwertige unfruchtbar machen?“ oder so ähnlich. An D. Stahl habe ich bereits zweimal geschrieben. Aber er will von mir einen Artikel nicht einmal in der Innern Mission bringen. Die katholischen Geistlichen stehen gegen die Sterilisierung geschlossen. Mit Professor Dr. Mayer in Paderborn bin ich längst einig. Ich habe ihm auch den Gesetzentwurf geschickt.

Wenn Du Dich einmal über diesen zweiten Plan äussern wolltest, dessen Ausführung deine Bethelkranken hart treffen würde, werde ich dankbar sein.

Mit herzlichem Grusse

Dein
gez. Ulbrich

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