GHDI logo

Max Brod, „Die Frau und die neue Sachlichkeit” (1929)

Seite 2 von 2    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Die jungen Autoren sehen nur den Alltag, das Dokument, die Photographie, Reportage, Sachlichkeit, über die hinaus es nichts zu erobern, hinter der es keinen Sinn zu erschließen gibt. Religiöse Deutung irgendwelcher Art erschiene ihnen als Illusion. (Dies der deutliche Abstand der »neuen Sachlichkeit« vom älteren Realismus, etwa dem Gerhart Hauptmanns.) Die modernen Autoren haben vor nichts so sehr Angst wie vor Illusionen. Durch Illusionen wurden wir in den Krieg hineingezerrt. Den Alltag nicht etwa bejahen, ihn in seiner ganzen Scheußlichkeit, Chaotik, Unmoral sehen – das erscheint als Gesetz. Vom Alltag, der als das einzig Wirkliche betrachtet wird, hinter dem es nichts Wirklicheres, Gütigeres, Liebenderes (Frauenhafteres) gibt, kann man sich nur durch Witz und Ironie distanzieren. Demgemäß wird Ironie zum einzigen Kunstmittel der jüngsten Generation. In der Dichtung wie in der Musik.

[ . . . ]

Soweit in der »neuen Sachlichkeit« die Zerstörung falscher Gloire mitenthalten ist, soll sie ihre Funktion allergründlichst erfüllen. Denn in dieser Hinsicht ist sie neuer Aufschwung und wirklicher Anfang, richtiger Protest der Jungen gegen die Kriegsmacher und Zwingherren, die noch heute am Ruder sind, Aufschrei und letzte Hoffnung der Menschlichkeit. Wenn aber mit »Sachlichkeit«: Amerikanisierung, Ausschaltung des Herzens, des Problems, der Liebe gemeint ist, dann ist sie ja nicht Protest gegen Krieg, sondern seine Folge und Fortsetzung und letzten Endes (siehe »Rivalen«) sogar seine Gutheißung. Die Frau von morgen wird instinktvoll und klug die guten von den bösen Komponenten der »neuen Sachlichkeit« zu scheiden haben. Darin sehe ich ihre Bedeutung nicht bloß für den Mann und den männlichen Geist, der sich momentan mit seiner »männlichen Dichtung« in eine Sackgasse verrannt hat, sondern für die gesamte soziale Entwicklung zu einer wirklichen, nicht auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaft und Staatengemeinschaft.


Quelle: Max Brod, „Die Frau und die neue Sachlichkeit“ in Die Frau von Morgen, wie wir sie wünschen, herausgegeben von Friedrich Markus Huebner. Leipzig: Verlag E.A. Seemann, 1929 S. 38-48.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite