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Thomas Mann, „Von Deutscher Republik” (1922)

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Jetzt werdet ihr böse! Ja, wenn nicht die Gegenwart hochgestellter Personen eure Lebhaftigkeit einschränkte, würdet ihr mir zurufen: »Wie? Und dein Buch? Deine antipolitisch-antidemokratischen Betrachtungen von Anno achtzehn?! Renegat und Überläufer! Der du dir selber aufs Maul schlägst, Umfallsüchtiger, steige ab vom Podium und wage nicht, gewinnende Kraft in Anspruch zu nehmen für das Wort des charakterlosesten Selbstverleugners!«

Liebe Freunde, ich bleibe noch. Ich habe noch einiges mitzuteilen, was mir gut und wichtig scheint; und den Verrat, den Umfall angehend, so überlegt das, es hat so ganz damit nicht seine Richtigkeit. Ich widerrufe nichts. Ich nehme nichts Wesentliches zurück. Ich gab meine Wahrheit und gebe sie heute.

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Ich werde euch vielmehr antworten, daß ich in der Tat ein Konservativer bin, daß meine natürliche Aufgabe in dieser Welt allerdings nicht revolutionärer, sondern erhaltender Art ist, – in dem Sinne, den Novalis in einem Aphorismus mit zartester Kraft bezeichnet. »So nötig es vielleicht ist«, schreibt er, »daß in gewissen Perioden alles in Fluß gebracht werde, um neue notwendige Mischungen hervorzubringen und eine neue, reinere Kristallisation zu veranlassen, so unentbehrlich ist es jedoch ebenfalls, die Krisis zu mildern und die totale Zerfließung zu behindern, damit ein Stock übrig bleibe, ein Kern, an dem die neue Masse anschließe und in neuen schönen Formen sich um ihn her bilde. Das Feste ziehe sich also immer fester zusammen, damit der überflüssige Wärmestoff vermindert werde, und man spare kein Mittel, um das Zerweichen der Knochen, das Zerlaufen der typischen Faser zu verhindern.« – Nun denn, eine solche Selbstzusammenziehung des Festen, eine solche Vorkehrung gegen das Zerlaufen der typischen Faser war dieses Buch, und auf solche Art suchte es zu erhalten. Es war konservativ – nicht im Dienste des Vergangenen und der Reaktion, sondern in dem der Zukunft; seine Sorge galt der Bewahrung jenes Stockes und Kernes, an den das Neue anschließen und um den es in schönen Formen sich bilden könne. Denn sowenig der Fieberzustand der Revolution, lebensnotwendig wie er immer sei, als Zweck seiner selbst und als verewigenswert zu betrachten ist, sowenig wäre diese Auffassung gerechtfertigt in Hinsicht auf jenen scheinbar zukunftsfeindlichen Kontraktionszustand, und alles ist daran gelegen, daß er zur rechten Zeit sich löse und das Feste mit dem Beweglichen um des Lebens, der neuen Form willen gerechten Frieden schließe.

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Wir wollen unsere Meinung über Spenglers Werk hier einschalten; es ist der Ort dazu. Sein ›Untergang‹ ist das Erzeugnis enormer Potenz und Willenskraft, wissenschaftsvoll und gesichtereich, ein intellektualer Roman von hoher Unterhaltungskraft und nicht allein durch seine musikalische Kompositionsart an Schopenhauers ›Welt als Wille und Vorstellung‹ erinnernd. Damit ist das Buch sehr hoch gestellt. Gleichwohl haben wir unsere demokratische Meinung darüber, finden seine Haltung falsch, anmaßend und ›bequem‹ bis zur äußersten Inhumanität. Es läge anders, wenn diese Haltung Ironie bärge, wie wir anfänglich glaubten; wenn seine Prophezeiung polemisches Mittel der Abwehr bedeutete. Wirklich kann man eine Sache wie die ›Zivilisation‹, nach Spengler der biologisch-unvermeidliche Endzustand jeder Kultur und nun auch der ›abendländischen‹, ja prophezeien – nicht damit sie kommt, sondern damit sie nicht kommt, vorbeugenderweise also, im Sinne geistiger Beschwörung; und so, dachte ich, verhalte es sich hier. Als ich aber erfuhr, daß dieser Mann seine Verkalkungs-Prophetie stockernst und positiv genommen haben wolle und die Jugend in ihrem Sinn unterweise, das heißt sie anhalte, an Dinge der Kultur, der Kunst, der Dichtung und Bildung nur ja nicht ihr Herz und ihre Leidenschaft zu verschwenden, sondern sich an das zu halten, was einzig Zukunft sei und was man wollen müsse, um überhaupt noch irgend etwas wollen zu können, nämlich an den Mechanismus, die Technik, die Wirtschaft oder allenfalls noch die Politik; als ich gewahr wurde, daß er tatsächlich dem Willen und der Sehnsucht des Menschen die kalte ›naturgesetzliche‹ Teufelsfaust entgegenballt, – da wandte ich mich ab von so viel Feindlichkeit und habe sein Buch mir aus den Augen getan, um das Schädliche, Tödliche nicht bewundern zu müssen.

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