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Thomas Mann, „Von Deutscher Republik” (1922)

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Unserem Studententum, unserer Burschenschaft fehlt es ja keineswegs an demokratischer Überlieferung. Es gab Zeiten, wo das Nationale und das Monarchisch-Dynastische, weit entfernt, in der Idee zusammenzufallen, vielmehr in unversöhnlicher Opposition zueinander standen; wo Patriotismus und Republik nicht nur keinen Gegensatz bildeten, sondern als ein und dieselbe Sache erschienen, und wo alle Leidenschaft edlerer Jugend zu ihr, der Sache des Vaterlandes und der Freiheit stand. Heute scheint die Jugend, scheinen wenigstens lebenswichtige Teile unserer Jugend gegen die Republik zu ewigem Haß verschworen, ohne Erinnerung daran, was einst sein konnte, – denn schon eine solche Erinnerung müßte auf die Unbedingtheit dieses Hasses leise einschränkend wirken.

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Die Republik ist ein Schicksal und zwar eines, zu dem »amor fati« das einzig richtige Verhalten ist. Das ist kein zu feierliches Wort für die Sache, denn es handelt sich um keine Kleinigkeit von Schicksal: die sogenannte Freiheit ist kein Spaß und Vergnügen, nicht das ist es, was ich behaupte. Ihr anderer Name lautet Verantwortlichkeit, – und damit wird deutlicher, daß sie vielmehr eine schwere Belastung ist: und zwar namentlich für das geistige Talent. [ . . . ] der Staat ist unser aller Angelegenheit geworden, wir sind der Staat, und dieser Zustand ist wichtigen Teilen der Jugend und des Bürgertums in tiefster Seele verhaßt, sie wollen nichts von ihm wissen, sie leugnen ihn nach Möglichkeit und zwar hauptsächlich, weil er sich nicht auf dem Wege des Sieges, des freien Willens, der nationalen Erhebung, sondern auf dem der Niederlage und des Kollapsus hergestellt hat und mit Ohnmacht, Fremdherrschaft, Schande unlöslich verbunden scheint. »Wir sind nicht die Republik«, sagen mir diese abgewandten Patrioten. »Die Republik ist Fremdherrschaft, – sofern (warum sollten nicht auch wir den Novalis zitieren?) Schwäche nichts anderes ist, als überhandnehmende, verwaltende, charakterisierende fremde Kraft.« – Wahr, wahr. Aber erstens ist ja auch wahr, was der Dichter sagt, daß »ein Mensch alles dadurch adeln, seiner würdig machen kann, daß er es will« – (sehr wahr ist das, sehr schön und außerdem beinahe schlau, ein Ausdruck von Lebensdexterität); und zweitens ist nicht wahr, es ist, um das streitbar zu wiederholen, keineswegs und durchaus nicht wahr, daß die Republik als innere Tatsache (ich rede jetzt nicht von staatsrechtlichen Fixierungen) ein Geschöpf der Niederlage und der Schande ist. Sie ist eines der Erhebung und der Ehre.

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Jugend und Bürgertum, euer Widerstand gegen die Republik, die Demokratie ist Wortscheu, – ja, ihr bockt und scheut vor diesen Worten wie unruhige Pferde, abergläubische Nervosität raubt euch die Vernunft, sobald sie nur ausgesprochen werden. Aber es sind Worte, Relativitäten, zeitbestimmte Formen, notwendige Werkzeuge, und zu glauben, es müsse landfremder Humbug sein, was sie bedeuten, ist nichts als Kinderei. Die Republik – als ob das nicht immer noch Deutschland wäre! Die Demokratie – als ob das nicht heimlichere Heimat sein könnte, als irgendein strahlendes, rasselndes, fuchtelndes Empire! Hörtet ihr kürzlich die »Meistersinger«? Nun, Nietzsche äußert zwar sprühender Weise, sie seien »gegen die Zivilisation« gerichtet, sie setzten »das Deutsche gegen das Französische«. Unterdessen aber sind sie Demokratie, durch und durch, demokratisch in dem Grade und auf so beispielhafte Art, wie etwa Shakespeares »Coriolan« aristokratisch ist – sie sind, sage ich, deutsche Demokratie, und beweisen mit biederstem Pomp, auf romantisch innigste Art, daß diese Wortverbindung, weit entfernt naturwidrig zu sein oder die Logik des hölzernen Eisens zu verraten, vielmehr so organisch richtig gefügt ist, wie außer ihr vielleicht nur noch die andere: »Deutsches Volk«.

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Was ihr mir jetzt versetzen werdet, weiß ich genau. Ihr werdet sagen: »Nein doch! Das eben nicht! Der deutsche Geist – was hat er zu schaffen mit Demokratie, Republik, Sozialismus, Marxismus gar? Dieser Wirtschaftsmaterialismus mit seinem schnöden Gerede vom ›ideologischen Überbau‹, Gerümpel aus dem neunzehnten Jahrhundert, wurde nachgerade zum Kinderspott. Sein Unglück, wenn er zur Verwirklichung in der Stunde gedeiht, die seiner geistigen Erledigung folgt! Und steht es mit den anderen Herrlichkeiten, für die du deutsche Jugend befremdlicherweise zur Begeisterung entzünden möchtest, nicht ebenso? Siehst du die Sterne über uns? Kennst und ehrst du unsere Götter? Weißt von den Kündern deutscher Zukunft? Goethe und Nietzsche waren wohl Liberale? Hölderlin und George sind am Ende gar demokratische Geister, deiner schnurrigen Meinung nach?« – Nein, das nicht. Freilich, freilich, da seid ihr im Rechte. Liebe Freunde, wie betreten ich bin. Ich habe nicht an Goethe und Nietzsche, Hölderlin und George gedacht. Oder habe ich etwa im stillen dennoch ihrer gedacht, und frage ich mich nur, ob es absurder ist, der Republik das Wort zu reden in ihrem Namen, als die Restauration zu predigen um ihretwillen?

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