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Fritz Lang, „Wege des Grossen Spielfilms in Deutschland” (1926)

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Die amerikanische Filmphotographie ist, dank ihrer Aufnahmeapparate, die noch heute unerreicht sind, dank ihres Filmmaterials, der glänzenden Arbeit ihrer Techniker, als die Photographie der Welt angesehen. Aber bis heute haben die Amerikaner es noch nicht verstanden, mit ihren herrlichen Apparaten das Wunder der Photographie ins Gebiet des Geistigen zu erheben, d. h. z. B. die Begriffe von Licht und Schatten nicht nur zum Stimmungsträger zu machen, sondern zum mitspielenden Faktor der Handlung. Ich hatte kürzlich Gelegenheit, einem amerikanischen Fachmann einige Szenen aus Metropolis zu zeigen, in denen die Verfolgung eines jungen Mädchens durch die Katakomben von Metropolis durch den Lichtstrahl einer elektrischen Taschenlampe gezeigt wird. Dieser Lichtstrahl, der das gejagte Geschöpf wie ein Tier auf seine spitze Nadel spießt, es nicht aus den Fängen läßt, es unablässig vor sich hertreibt bis zur völligen Panik, brachte den liebenswürdigen Amerikaner zu dem naiven Bekenntnis: „Das können wir nicht!“ Natürlich könnten sie es. Aber sie kommen nicht auf den Gedanken. Für sie ist das Ding noch wesenlos, unbelebt, unbeseelt. Ich aber glaube, daß in dem großen deutschen Spielfilm der Zukunft das Ding eine ebenso wichtige Rolle spielen wird wie der Mensch. Der Schauspieler wird nicht mehr in einem Raum stehen, indem er durch Zufall geraten scheint, sondern der Raum wird so gestaltet sein, daß das Erleben des Menschen nur in ihm möglich, nur durch ihn logisch erscheint. Ein Expressionismus subtilster Art wird Umgebung, Requisit und Handlung aufeinander abstimmen, wie ich überhaupt glaube, daß sich die Technik des deutschen Films auf einer Linie entwickeln wird, die sie nicht nur zum optischen Ausdruck der Handlungen des im Film aktiven Menschen steigert, sondern auch die Umwelt des Darstellers zum Mitträger der Handlung erhebt, und als Wichtigstes – seine Seele! Wir versuchen schon, Gedanken zu photographieren – also bildhaft zu machen – nicht mehr den Handlungskomplex eines Geschehens zu geben – sondern den geistigen Inhalt des Erlebten von dem Erlebenden aus gesehen.

Das erste bedeutende Geschenk, das wir dem Film verdanken, war gewissermaßen die Wiederentdeckung des menschlichen Gesichts, das uns niemals zuvor in seinem tragischen wie in seinem grotesken, im drohenden wie im beseligten Ausdruck so deutlich offenbart worden ist wie durch den Film.

Das zweite Geschenk wird sein, daß er uns bildhafte Einfühlungen, im reinsten Sinne expressionistische Darstellungen von Gedankenvorgängen geben wird. – Nicht mehr rein äußerlich werden wir an den Seelenvorgängen der Menschen im Film teilnehmen: wir werden uns nicht mehr darauf beschränken, die Auswirkungen der Empfindungen allein zu sehen – sondern wir werden sie seelisch miterleben von ihrem Urentstehen an – vom ersten Aufblitzen des Gedankens bis zur folgerichtigen Schlußkonsequenz der Idee.

Hat der frühere Menschendarsteller sich begnügt, hübsch, angenehm oder gefährlich, komisch oder abstoßend zu sein, so wird der Film den neuen deutschen Menschendarsteller dazu bringen, aus dem Träger der Handlung zum Träger einer Idee zu werden. Prediger von allem, um das die Menschen, seit sie verlernt haben, auf Bäumen zu wohnen, kämpfen, um sich daran zu beglücken.

Die Internationalität der Filmsprache wird das stärkste Instrument in der Verständigung der Menschen werden, die sich sonst in allzu verschiedenen Sprachen so schwer verständigen können. Dem Film dieses Doppelgeschenk des Geistigen und des Beseelten zu geben, ist die Aufgabe, die uns vorbehalten bleibt.

Wir werden sie lösen!



Quelle: Fritz Lang, „Wege des Grossen Spielfilms in Deutschland“, Die literarische Welt 2, Nr. 40, 1. Oktober 1926, S. 3-6; abgedruckt in Weimarer Republik, Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, herausgegeben von Anton Kaes. Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag,1983, S. 222-24.

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