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Raoul Hausmann, „Der deutsche SPIESSER ärgert sich” (1919)

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O, meine Herren Spießer, Die sagen, die Kunst sei Gefahr? Ja, wissen Sie denn nicht, daß die Kunst eine schöne weibliche Gestalt ist, ohne Kleidung, daß sie darauf rechnet, ins Bett genommen zu werden, oder dazu anzuspornen? Nein, meine Herren, die Kunst ist nicht in Gefahr – denn die Kunst existiert nicht mehr! Sie ist tot. Sie war die Entwicklung aller Dinge, sie umhüllte noch die Knollennase und die Schweinslippen des Sebastian Müller mit Schönheit. Sie war ein schöner Schein, ausgehend von einem sonnig-heiteren Lebensgefühl, - und nun erhebt uns nichts mehr, nichts mehr! Geben Sie die Geschlechtsromantik auf, meine Herren Dichter – uns ist nicht mehr danach zumute, zeigen Sie lieber Ihre schön tätowierten Bäuche, speien Sie Worte, panschen Sie Geometrie in Farben und nennen Sie’s abstrakte Kunst – es ist uns so piepe, wie Ihre Seiltänzerei rund um den Expressionismus! DIE ABSOLUTE UNFÄHIGKEIT, etwas zu sagen, ein Ding zu fassen, mit ihm zu spielen – DIES IST DER EXPRESSIONISMUS, ein geistiger Prießnitzumschlag für verdorbene Eingeweide, eine von vornherein verdorbene Glibberspeise, von der man feierliches Bauchgrimmen bekam. Der schreibende oder malende Spießer konnte sich dabei ordentlich heilig vorkommen, er wuchs endlich irgendwie über sich hinaus in ein Unbestimmtes, allgemeines Weltgedusel – o, Expressionismus, Du Weltwende der Romantischen Lügenhaftigkeit! Unerträglich wurde die Farce aber erst durch die Aktivisten, die den Geist der Kunst, die sie vom Expressionismus absahen, dem Volke bringen wollten. Diese Schwachköpfe, die irgendwie mal Tolstoi gelesen und selbstverständlich nicht verstanden haben, triefen nun von einer Ethik, der man nur mit der Mistgabel sich nähern kann. Diese Dussel, die unfähig sind, Politik zu treiben, haben die aktivistische Äternistenmarmelade erfunden, um sich doch auch an den Mann, hier den Proletarier, zu bringen. Aber so doof, verzeihen Sie, ist der Proletarier garnicht, daß er die unfruchtbare Toberei in lauterer Hohlheit nicht merkte. Kunst ist ihm was, was vom Bürger kommt. Und wir sind soweit Antidadaisten, als irgendeiner von uns noch etwas Schönes, Ästhetisches, ein sicher umgrenztes Wohlgefühlchen aufstellen will, wie die abstrakte Kunst etwa – daß wir ihm diese gut belege Stulle in den Dreck schlagen. Uns hat die Welt heute keinen tiefen Sinn, als den unergründlichsten Unsinn, wir wollen nichts von Geist oder Kunst wissen. Die Wissenschaft ist albern – wahrscheinlich dreht sich heute noch die Sonne um die Erde. Wir propagieren keine Ethik, die immer ideal (Schwindel) bleibt – aber wir wollen darum den Bürger nicht dulden, der seinen Geldsack über die Existenzmöglichkeit des Menschen gehängt hat, wie Geßler seinen Hut. Wir wünschen, die Ökonomie und die Sexualität vernünftig zu ordnen, und wir pfeifen auf die Kultur, die keine greifbare Sache war. Wir wünschen ihr ein Ende, und damit ein Ende dem Spießerdichter, dem Verfertiger der Ideale, die nur seine Exkremente waren. Wir wünschen die Welt bewegt und beweglich. Unruhe stat Ruht, - fort mit allen Stühlen, weg mit den Gefühlen und edlen Gesten! Und wir sind Antidadisten, weil für uns der Dadaist noch zu viel Gefühl und Ästhetik besitzt. Wir haben das Recht zu jeder Belustigung, sei es in Worten, in Formen, Farben, Garäuschen; dies alles aber ist ein herrlicher Blödsinn, den wir bewußt lieben und verfertigen, - eine ungeheure Ironie, wie das Leben selbst: die exakte Technik des endgültig eingesehenen Unsinns als Sinn der Welt!!!

NIEDER MIT DEM DEUTSCHEN SPIESSER!




Quelle: Raoul Hausmann, „Der deutsche SPIESSER ärgert sich“, Der Dada, Nr. 2, Berlin, Dezember 1919, S. 1; abgedruckt in Bilanz der Feierlichkeit, Texte bis 1933, Band 1, herausgegeben von Michael Erlhoff. München: Edition Text und Kritik, 1982, S. 82-84.

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