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Bericht des Kommissars bei der Reichsbank (10. Dezember 1928)

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Daß in den abgelaufenen Jahren die eigene Kapitalbildung Deutschlands in steigender Richtung gegangen ist, darf angenommen werden. Der psychologische Druck, der von der Vernichtung so vieler früheren Ersparnisse durch die Inflation ausging, hat allmählich nachgelassen, und neue Gruppen von Sparern, teilweise aus anderen Schichten der Bevölkerung hervorgehend, haben sich gebildet. Der interne Kapitalbildungsprozeß, der innerhalb der Unternehmung vor sich geht, wird immer im hohen Ausmaß vom Konjukturverlauf abhängig bleiben. Der kumulative Charakter jedoch der individuellen Ersparnisse dar für die Zukunft im allgemeinen eine weiter Steigerung erhoffen lassen. Daß andererseits die im Vergleich zur Vorkriegszeit sehr gewachsenen Staats- und sozialen Lasten sowie die aufzubringenden Reparationsbeträge einen Druck auf die neue Kapitalbildung ausüben, bedarf keiner näheren Erörterung. Dieser Druck beschränkt sich indes auf den Teil der der Bevölkerung entzogenen Kaufkraft, der sonst in Ersparnisse umgewandelt worden wäre, wobei übrigens in Betracht gezogen werden muß, daß die Staats- und Soziallasten teilweise wieder zur Kapitalbildung verwendet werden.

Was die Kapitalnachfrage betrifft, darf angenommen werden, daß die starken Anhäufungen des Bedarfs, die nach dem Kriege und nach der Inflation zunächst zutage traten, sich nach und nach verlieren. Immerhin sind manche Kapitalbedürfnisse vorläufig noch zurückgestellt worden, die bei einer gewissen Erleichterung des Marktes sofort sich geltend machen würden.

Ein besonderer Faktor, der in diesem Zusammenhang gewiß von Einfluß sein wird, ist der demnächst zu erwartende Rückgang des Angebots von neuen Arbeitskräften, der eine Folge des Geburtenausfalls während der Kriegsjahre sein wird. Welchen Umfang diese Verringerung des Arbeitsangebots während eine Reihe von Jahren annehmen wird, geht vielleicht am besten aus der Tatsache hervor, daß die Zahl der Kinder, die in den Jahren 1922 bis einschließlich 1925 schulpflichtig wurden durchschnittlich unter /00 000 blieb, d.h. nur wenig mehr als die Hälfte der Zahl aus den früheren Jahren, deren Geburtenziffer nicht unter dem Einfluß des Krieges stand, betrug. Die Folge ist, daß binnen kurzem an Stelle einer Zuname vielmehr eine Abnahme der gesamten Arbeiterbevölkerung einsetzen wird. Davor wird auch der Wohnungsmarkt, auf welchem noch immer trotz einer starken Bautätigkeit, namentlich in den Großstädten, ein bedeutendes Defizit besteht, in einer späteren Periode beeinflußt werden.

In welchem Ausmaß dies alles am Kapitalmarkt und in der zukünftigen Entwicklung des Zinsniveaus zum Ausdruck kommen wird, läßt sich nicht sagen. Eine gewisse Atempause wird jedoch sicher zu erwarten sein.

Wie immer sich die Zukunft entwickeln mag, sicher ist, daß die Gegenwart noch gänzlich unter dem Druck des augenblicklichen ernsten Kapitaldefizits steht. Die Schwierigkeiten bei der Aufnahme von Anleihen haben dahin geführt, daß ein wachsender Teil des langfristigen Kapitalbedarfs zunächst nur kurzfristig befriedigt werden konnte; auch von der Auslandsschuld ist ein viel größerer Teil als erwünscht ist, kurzfristig aufgenommen worden. Die letzten Monate ließen indes erfreulicherweise erkennen, daß bedeutende Veränderungen am Geldmarkt eines der großen geldgebenden Länder und als Folge hiervon eine große Verschiebung im Kries und in der Nationalität der ausländischen Geldgeber sich haben ereignen können, ohne daß die günstige internationale Position der deutschen Währung auch nur einigermaßen darunter gelitten hat: nur am Geldmarkt trat vorübergehend eine gewisse Spannung ein. Immerhin bleibt die starke kurzfristige Verschuldung Deutschlands eine ernste Tatsache. Demgegenüber ist es eine glückliche Erscheinung, daß die Position der Reichsbank sich fortwährend weiter hat festigen können und jetzt, wie im vorigen dargelegt wurde, kräftiger ist als in irgendeinem anderen Zeitpunkt der letzten vier Jahre.

G.W.J. BRUINS




Quelle: Bericht des Kommissars bei der Reichsbank, 10. Dezember 1928, Berlin. S. 51-54.

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