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Die Bundesministerin für Forschung und Bildung, Edelgard Bulmahn, schlägt ein Ganztagsschulprogramm vor (13. Februar 2003)

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Wir wollen, dass jedes Kind mit seinen Begabungen und seinen Schwächen eine Chance erhält. Unser Ziel bleibt es, Chancengleichheit zu verwirklichen, und dafür sind gute Ganztagsschulen notwendig. Davon haben wir in Deutschland mehrere; man muss sie sich nur einmal anschauen. Gute Ganztagsschulen schaffen eine wichtige Voraussetzung für eine intensive, frühe, individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen.

Genau das ist die Achillesferse in unserem Schulsystem: Wir haben eine mangelhafte, unzureichende individuelle und frühe Förderung. Deshalb setzen wir genau an diesem Punkt an. Wir müssen schon in der Grundschule beginnen. Deshalb ist das Ganztagsschulprogramm kein Programm für die Sekundarstufe II. Wir müssen auch im Kindergarten ansetzen, bei einer besseren Zusammenarbeit zwischen Grundschule und Kindergarten. Denn die Defizite, die in jungen Jahren entstehen, sind meist später nur noch sehr schwer auszugleichen. Hier muss das Motto des finnischen Bildungssystems „Jedes Kind kann es schaffen, vorausgesetzt, wir sind gut genug, es entsprechend zu fördern” Vorbild sein.

Um eines ganz deutlich anzusprechen: Uns geht es mit der Ganztagsschule nicht um Suppenküchen, wie einige immer wieder — ich sage: dümmlicherweise — behaupten. Es geht uns auch nicht um ein bisschen Hausaufgabenhilfe, sondern es geht uns darum, dass wir Ganztagsschulen schaffen, die die frühe, individuelle Förderung eines Kindes wirklich zu dem zentralen Punkt ihres pädagogischen Konzepts und ihrer Aufgabe in der Schule machen. Klar ist dabei, dass es nicht das pädagogische Konzept geben kann, das für alle Schulen gilt. Jede Schule muss ihr eigenes Konzept, ihr eigenes Profil entwickeln können, das sich an den Gegebenheiten vor Ort orientieren muss. Deshalb sind wir so dezidiert für eine größere Selbstständigkeit der Schulen. Eine Ganztagsschule an einem sozialen Brennpunkt in einer Großstadt wird anders aussehen als eine Ganztagsschule auf dem Land. Wer das nicht begreift, hat seine Schulaufgaben nicht gemacht.

Entscheidend für den Bund ist das Vorhaben, durch eine Pädagogik der Vielfalt — das ist das entscheidende Stichwort — die unterschiedlichen Stärken und Begabungen unserer Kinder frühzeitig zu erkennen und auch frühzeitig individuell optimal zu fördern. Das können wir erreichen. Das zeigen uns die besten Schulen in Deutschland, das zeigen uns die vielen Beispiele in anderen Ländern. Das können wir zum Beispiel erreichen durch die Verknüpfung des Unterrichts mit Zusatzangeboten, mit einem Wechsel von stärker freizeitorientierten und stärker unterrichtsorientierten Phasen über Vormittag und Nachmittag hinweg, durch die Lösung des starren 45-Minuten-Takts, die Raum gibt für freien Unterricht und für projektorientierten Unterricht, durch die Einbeziehung von Angeboten der Jugendhilfe, der Musikschulen, der Sportvereine, durch die Kooperation der Schulen vor Ort mit sozialen und kulturellen Einrichtungen, mit Betrieben, durch eine kontinuierliche, intensive Beteiligung von Eltern, Schülern und außerschulischen Partnern an der Schulentwicklung und — auch das sollte nicht verschwiegen werden — durch eine deutlich bessere Qualifizierung und Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer, sowohl der zukünftigen als auch der bereits berufstätigen, die sich dabei auch stärker als Team und nicht als bloße Fachlehrer verstehen müssen.

Mit dem Startsignal für das Ganztagsschulprogramm leiten wir eine konsequente Bildungsreform für Deutschland ein. Die Reaktionen vor Ort zeigen, dass diese Initiative der richtige Schritt ist. Wir haben schon zahlreiche Anfragen von Schulträgern vor Ort erhalten. Ich sage das auch deshalb ausdrücklich, weil dies mit dem Vorurteil aufräumt, unsere Schulleitungen, die Lehrerinnen und Lehrer würden das Angebot, das sie jetzt erhalten, nicht offensiv und kreativ aufgreifen. Sie tun es und wir müssen ihnen jetzt auch die Möglichkeit dazu geben.

Eine kurze Anmerkung noch an die Opposition: Angesichts dieser großen Aufgabe, vor der wir stehen, brauchen wir eine neue Kultur der Zusammenarbeit, eine Kultur der Zusammenarbeit, wie wir sie im Forum Bildung hatten. Ich wünsche mir, dass auch die Opposition nicht vergisst, was wir vor knapp einem Jahr im Forum Bildung gemeinsam beschlossen haben — gemeinsam mit drei CDU-Landesministerinnen und -ministern, Annette Schavan, Hans Joachim Meyer und Hans Zehetmair —, dass nämlich Ganztagsschulen eine erhebliche und wichtige Voraussetzung dafür sind, dass Kinder besser und individuell gefördert werden. Ich denke, es gehört auch zur Bildung, dass man von der Arbeit und den Erkenntnissen anderer Kenntnis nimmt und sie berücksichtigt.



Quelle: Bundesministerin für Bildung und Forschung Bulmahn zum Zukunftsprogramm Bildung und Betreuung für Ganztagsschulen vor dem Deutschen Bundestag, Bulletin [Presse- und Informationsamt der Bundesregierung] Nr. 14, 13. Februar 2003.

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