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Ein Bildungswissenschaftler zum Reformprozess an ostdeutschen Universitäten (1999)

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In einer strukturfunktionalistischen Perspektive ergab sich der Kompromißcharakter des Personalumbaus infolge zweier Umstände, die aus politischen, nicht zuletzt Wählerentscheidungen resultierten: Der politische Systemwechsel in Ostdeutschland mußte zwar in einer Geschwindigkeit durchgeführt werden, in der ein solcher üblicherweise nur durch gewalttätige Revolutionen gelingen kann. Zugleich aber konnte nicht auf das Arsenal gewalttätiger revolutionärer Instrumente zurückgegriffen werden. Kurz: In revolutionärer Geschwindigkeit war ein evolutionärer Wandel umzusetzen.

Dies mündete in die Kompromisse zwischen Unverträglichkeiten, mit denen auch die Ambivalenz des Wandels programmiert war: Aus dem Charakter des Systemwechsels als eines grundstürzenden Vorgangs konnten einerseits revolutionäre Forderungen – etwa: radikaler Elitenwechsel – abgeleitet werden. Dem stand andererseits das Gebot legalen Handelns, also die Forderung nach Rechtsbindung jeglicher Prozeßelemente gegenüber. Für beide Positionen wiederum wurde normative Absicherung im Demokratiegebot gesucht.

Mit den Personalkommissionen war hierfür das – nach Reichweite, Eingriffstiefe, Einsatzdauer und Folgen – Primärinstrument einer personellen Erneuerung der ostdeutschen Hochschulen entwickelt und installiert worden. Der Form nach vermittelte es nichtjustitiable Strafansprüche mit dem Gebot legalen Handelns. Die von den Personalkommissionen durchgeführten Verfahren waren in ihrem positivistischen Kern Beurteilungen individualbiographischer Vergangenheit zum Zwecke der Gewinnung einer Sozialprognose über die Eignung (resp. Nichteignung) für den Öffentlichen Dienst im Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland. Funktional war dieses Anliegen in das Zumutbarkeitskriterium übersetzt worden. Auf Grundlage der von den Kommissionen gewonnenen Erkenntnisse stellten die zuständigen Wissenschaftsminister die Un-/Zumutbarkeit der einzelnen Personen fest.

Nehmen wir die Akteure des Hochschulumbaus in den Blick, so ist zunächst festzuhalten: Die Notwendigkeit eines Umbaus war von niemandem im Grundsatz streitig gestellt worden. „Es war zumindest öffentlich keine Stimme vernehmbar, die für den Erhalt des Status quo der Jahre 1989/90 plädierte. Insofern gab es über die sich bildenden Lager hinweg einen gemeinsamen Ausgangspunkt”. (Neidhardt 1994, 34)

Das gilt auch entgegen der Außenwahrnehmung mancher hochschulinterner Bestrebung als restaurativer. Denn war die Neustrukturierung innerhalb der Hochschulen im Grundsatz auch nicht strittig, so mußte doch die Einschätzung ihrer notwendigen Gründlichkeit naturgemäß sehr unterschiedlich ausfallen: nämlich abhängig von der jeweiligen Prognose individueller sozialer Betroffenheit. Der Reformeifer der „management- und politikerfahrenen alten Kader” etwa mußte „dadurch gebremst sein, daß sich nicht wenige von ihnen selber hätten abschaffen müssen, wenn sie mit der Selbsterneuerung ernst gemacht hätten.” (Ebd., 38)

Sodann: Keiner der beteiligten Akteure bestritt, daß es bei diesem Umbau um eine demokratische Erneuerung gehen müsse. Abermals in aller analytischen Unterkühltheit: Auch wer in der DDR im Interesse staatssozialistischer Herrschaftssicherung demokratische Entscheidungserzeugung und Machtkontrolle für entbehrlich gehalten hatte, mußte nun keineswegs heucheln, wenn er jetzt demokratische Prozesse als situationsadäquat betonte. Schließlich, so das schwer zu widerlegende Argument, seien ja veränderte Rahmenbedingungen gegeben.

Doch mehr noch: Kein weiteres Wort wurde innerhalb des ostdeutschen Hochschulumbaus verbal derart beansprucht wie das der Demokratie. Ebenso gehörte der Vorwurf des undemokratischen Charakters bestimmter Vorhaben, Intentionen, Taten und Unterlassungen zum polemischen Standardrepertoire aller Seiten in den geführten Auseinandersetzungen.

Wenn beantwortet werden soll, ob der formulierte demokratische Anspruch im realen Prozeß von Entscheidungserzeugung und -vollzug tatsächlich umgesetzt wurde, ist zunächst eines zu vergegenwärtigen: Was eigentlich war unter dem Demokratischen in der demokratischen Erneuerung verstanden worden?

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