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Bundespräsident Roman Herzog ruft zu einer Reform des deutschen Bildungssystems auf (5. November 1997)

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Ich wünsche mir — fünftens — ein Bildungssystem, das Wettbewerb zuläßt. Wenn wir mehr Spitzenleistungen wollen, müssen wir Unterschiede in den Leistungen sichtbarer machen. Das beginnt schon bei den Schulen: Geben wir ihnen wieder mehr Verantwortung zurück! Was spricht etwa dagegen, sie bei der Auswahl des Kollegiums zu beteiligen? Ich habe auch nie verstanden, warum Lehrer und Professoren unbedingt Beamte sein müssen, warum die Verwaltung in das Korsett einer kameralistischen Haushaltsführung gepreßt werden muß, warum ein Schulleiter bei der Entscheidung über Sachmittel und Personal weniger Entscheidungsspielraum hat als der Sachbearbeiter in einer Schraubenfabrik.

Und warum haben wir uns bislang gescheut, unsere Schulen in einen Vergleich treten zu lassen, der den Wettbewerb fördert? In den USA ist Präsident Clinton gerade dabei, einen „national achievement test” für Schüler einzuführen, damit Eltern im ganzen Land wissen, welche Schulen gut und welche weniger gut sind. Wäre das nicht auch ein Modell für uns? Könnten dann nicht die guten Schulen das Vorbild und den Ansporn für andere geben, die eigenen Angebote zu verbessern?

Vor allem für die Hochschulen ist es höchste Zeit, sich vom Mythos vermeintlicher Gleichheit zu verabschieden. Meist handelt es sich dabei doch nur noch um Fiktionen, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben. Seien wir realistisch: Niemand wird in der Wirtschaft heute nur aufgrund eines Stückes Papier mit einer Note eingestellt. Überall weiß man, daß es zwischen den einzelnen Fachbereichen und Universitäten große Unterschiede gibt: Das betrifft die Forschungsleistungen ebenso wie die personelle und finanzielle Ausstattung, das Lehrangebot und nicht zuletzt die Notengebung. Viele Unternehmen haben heute schon aufwendige Assessment-Verfahren entwickelt, weil sie um die Unterschiede in der Ausbildung ihrer Bewerber wissen.

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Wir müssen die Qualitätsunterschiede endlich wieder transparent machen und auch dafür sorgen, daß gute Leistungen belohnt und schlechte durch die Entziehung von Ressourcen sanktioniert werden. Ich weiß, daß der Gedanke eines „Ranking” bei vielen Angst und Unbehagen auslöst. Aber wir sind es erstens den Studenten schuldig, die bereits vor Beginn des Studiums wissen müssen, wo sie ihre Zeit und ihre Anstrengungen investieren sollen. Das sind die Hochschulen zweitens auch den öffentlichen Geldgebern schuldig. Und drittens kommt das Ranking so oder so: Wenn sich die Hochschulen ihm verweigern, kommt es eben von außen, zum Beispiel von den Medien — und dann nach eher zweifelhaften Kriterien!

Universitäten müssen sich durch Personal, Inhalte und Ideen schärfer als bisher profilieren können. Dazu gehört die Auswahl der Studenten und die Möglichkeit der Gewichtung von Abiturfächern. Akzeptieren wir endlich, daß auch hinter gleichen Abiturdurchschnittsnoten unterschiedliche Begabungen stecken und daß nicht jedes Abiturfach eine gleichgewichtige Rolle für so unterschiedliche Fächer wie Deutsch, Medizin oder Jura spielen kann. Freilich: Die Auswahl von Studierenden darf auch nicht zum Selbstzweck werden. Vielmehr geht es um ein klares Signal an die Studenten: Wir wollen euch haben und übernehmen damit auch die große Verantwortung für die wertvollste Zeit eures Lebens. Wir kümmern uns um euch durch optimale Beratung und Betreuung von Anfang an.

Wenn wir sagen, daß die Hochschulen sich im Wettbewerb profilieren und ihre Effizienz steigern sollen, dann müssen wir sie aber endlich auch aus der bürokratischen Fremdsteuerung entlassen. Sie müssen die Freiheit erhalten, sich so zu organisieren, wie es die erfolgreichsten Vorbilder auf der ganzen Welt tun.

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