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Die neue Linke (25./26. Juni 2005)

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Lafontaine hatte es zu gleicher Zeit wesentlich schwerer. Er musste die unerlässliche Aufregung selbst erzeugen, auf dem Mannheimer Parteitag 1995 einen Ausnahmezustand herbeireden. Er verhieß, dass es noch Visionen gebe, für die es sich zu kämpfen lohne, blieb aber vage, welche das denn seien. Dieser Politik der kämpferischen Geste verdankte er seinen größten Triumph – und das war die Abwahl Rudolf Scharpings.

Auch Gysis größter Erfolg setzte eine Art Ausnahmezustand voraus. 2001 erreichte die PDS im Ostteil Berlins beinahe die absolute Mehrheit. Die Stadt war durch die Machenschaften des Vorgängersenats endgültig ruiniert worden, Schröders Bekenntnis zur „uneingeschränkten Solidarität" mit den USA hatte alte Ängste im Osten geweckt, antikommunistische Kampagnen tauchten die PDS noch einmal in flackerndes Licht. Gysis damalige Geste ähnelte seiner heutigen: In der Stunde der Not und der Entscheidung bin ich bereit. Als im Bundestagswahlkampf 2002 die scharfen Angriffe ausblieben und im Osten Resignation den Trotz überwog, nützte der PDS ihr bis dahin stabiles Milieu nur noch wenig. Sie verlor trotz ihrer Verankerung in der ostdeutschen Gesellschaft.

Ohne Aufregung kann die sozialistische Linke aus WASG und PDS nicht reüssieren. Gegenwärtig muss sie sich darum nicht sorgen. Die Konservativen haben sich längst auf eine revolutionäre Rhetorik eingeschworen. Im Herbst 2002 rief der Zeithistoriker Arnulf Baring die Bürger auf die Barrikaden, um die Erstarrung der Bundesrepublik zu einer westlichen DDR in letzter Minute zu verhindern. Die CDU hat radikale Reformen angekündigt. Die Wut über das neue Bündnis ist jetzt schon groß. Die nötige Betriebstemperatur scheint also gegeben, den Rest besorgt die Autosuggestion der „historischen Gelegenheit".

Inhaltlich fällt die neue Linke durch Allerwelts-Schlagworte wie „Arbeit" und „Gerechtigkeit" auf – auch CDU und SPD versprechen derlei. Selbst der Kampf gegen Hartz IV ist kein neulinkes Sonderthema. Immerhin hat im August 2004 auch der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt erwogen, an den Montagsdemonstrationen teilzunehmen. Wahrscheinlich erklärt dies den öffentlichen Abwehrzauber: Das Bündnis agiert mit Themen aus der Mitte, Begriffen und Parolen aus der Mitte und verbindet sie mit dem Impuls des Dagegenseins.

Die programmatische Leere – der die anderen Parteien kaum Fülle entgegensetzen – ermöglicht WASG und PDS einen gelassenen Umgang mit den Ost-West-Unterschieden. Mag der eine spießig, der andere oberflächlich, einer selbstgerecht, einer sündenstolz erscheinen – sie eint die Angst vor dem Abstieg oder die Erfahrung realer Deklassierung. Sie eint die Überzeugung, dass sie nicht zu den Gewinnern der Reformen gehören werden, dass diese auf Kosten der kleinen Leute gehen. Sie eint die Überzeugung, dass keine andere Partei ihre Interessen vertritt. Wer im Gegenzug harmonische und konfliktfreie Sozialverhältnisse beschwört, macht die Sache nicht besser. Guido Westerwelle behauptet, liberale Wirtschaftspolitik sei gut für das ganze Volk, schließlich habe Ludwig Erhardt sein Buch „Wohlstand für alle" genannt. Das ist nicht weniger nostalgisch als die Sozialstaatsromantik Oskar Lafontaines, der „Politik für alle" verspricht. So weit auseinander sind der angeblich neoliberale Zeitgeist und seine Gegner nicht. Beide hoffen, durch das Drehen an den richtigen Schrauben, die Deutschland-Maschine wieder in Gang bringen und dann alle mitnehmen zu können. Eine Illusion.

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