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50 Jahre Grundgesetz (28. Mai 1999)

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Heute, wenige Monate vor dem Beginn eines neuen Jahrhunderts, geht es vor allem anderen darum, den Gedanken der Freiheit zu bewahren und das Wissen um ihren Wert weiterzugeben. Freiheit und Demokratie sind nie selbstverständlich. Gerade wer nie selbst die Erfahrung der Unfreiheit gemacht hat, übersieht das leicht; denn mit der Freiheit ist es wie mit der Luft zum Atmen: Man wird sich ihrer erst bewußt, wenn sie einem genommen wird.

Nie war die individuelle Freiheit größer als heute, und die Pluralität der Lebensformen hat uns überdies eine ungemein vielgestaltige Gesellschaft geschaffen. Das ist gut so und liegt ganz in der Konsequenz des Menschenbildes, von dem das Grundgesetz ausgeht. Wenn es uns nun noch gelingt, in dieser Vielfalt auch die Gemeinsamkeiten zu erkennen, die uns nicht weniger bestimmen, und auch diese Gemeinsamkeiten zu stärken, dann – und nur dann – wird das tolerante Nebeneinander zu einem Miteinander, aus dem wir auch die Zukunft bestehen können.

Unser Staat ist zuallererst ein freiheitlicher Rechtsstaat, der die Rechte und Würde seiner Bürger gewährt und sichert. Als die Mitglieder des Parlamentarischen Rates den Artikel 1 des Grundgesetzes formulierten („Die Würde des Menschen ist unantastbar"), hatten sie keine unverbindliche Feiertags-Losung im Sinn. Sie wollten zunächst die radikale Absage an jeden Totalitarismus und an jede Staatsüberhöhung. Sie wollten einen dienenden Staat, der für die Menschen da ist – und nicht die Menschen für ihn.

Dahinter steht freilich auch eine Erwartung an den Einzelnen: die Erwartung, daß er seine Freiheit zur Gestaltung nutzt – für das eigene Schicksal und für die Gemeinschaft.

Das ist eine unverzichtbare Bedingung der Freiheit, denn es gibt keine nur individuelle Freiheit. Frei können wir nur gemeinsam sein. Freiheit funktioniert nicht, wenn der Einzelne immer nur Rechte für sich in Anspruch nimmt und immer mehr Verantwortung den anderen aufbürdet, ob nun dem „Staat" oder einer anonymen „Gesellschaft". Ohne den Einsatz des Einzelnen für die Gemeinschaft ist auf die Dauer jedes Gemeinwesen überfordert.

Und Freiheit ist mehr als nur inhaltsleere Abwesenheit von Zwang. Wir haben uns immer wieder zu fragen, wozu wir sie nutzen, welchen Inhalt und Sinn wir ihr geben wollen. Sie braucht Verstand und Phantasie.

Und: Freiheit braucht auch das Wissen um Tradition, um Werte und Ideale. Sie sind die wichtigste Voraussetzung für eine fundierte Kritik an der jeweils gegenwärtigen Wirklichkeit und für ein Denken in Alternativen.

Und der richtige verantwortungsvolle Umgang mit der Freiheit kommt nicht von selbst. Auch hier liegt ein zentraler Erziehungs- und Vermittlungsauftrag für alle: für die Elternhäuser, die Schulen, die Institutionen – und auch für die Medien.

Mit Reden und Dozieren ist es dabei nicht getan. Auch die Demokratie muß, wenn ihr Wert vermittelt werden soll, spürbar sein, ja wieder stärker spürbar werden. Ich kann mir durchaus mehr direkten Einfluß der Bürger vorstellen, etwa das Kumulieren und Panaschieren der Wählerstimmen auch bei Bundes- und Landtagswahlen, die Ausweitung der Direktwahl von Bürgermeistern, die Verstärkung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, zumindest auf kommunaler Ebene. Gerade auf der Ebene der Nachbarschaften ist der Bürger ja in besonderem Maße zur Übernahme von Verantwortung bereit. Dort können sogar „Frühwarnsysteme" für gesellschaftliche Entwicklungen entstehen, die ein nur auf die Stimmen von Verbänden hörender Staat leicht übersieht.

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