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Bilanz der Großen Koalition (17. September 2009)

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Unter dem Schrecken der Krise

Die mentalen Voraussetzungen waren daher gut, als nach drei Jahren Großer Koalition die Finanzkrise ausbrach. Dabei wäre man nicht überrascht gewesen, wenn der schwerste ökonomische Einbruch seit den dreißiger Jahren die wirtschaftsfixierten Deutschen aus der Fassung gebracht hätte. Als zu Beginn der heißen Phase die Kanzlerin und ihr Finanzminister vor die Öffentlichkeit traten, um aus gerade noch heiterem Himmel die Spareinlagen der Deutschen zu garantieren, wusste man jedenfalls nicht genau, ob sie die Bevölkerung damit beruhigen oder erst recht in Panik versetzen würden.

Dass der weltweite Einbruch den Staat plötzlich zum herausragenden Akteur machte, wirkte einen Moment lang wie die zweite Gründung der Großen Koalition. War das nicht die Art Herausforderung, in der sich das außerordentliche Bündnis nun wirklich beweisen konnte? Nie jedenfalls erlebte man die Akteure einmütiger und entschlossener als unter dem Schrecken der losbrechenden Krise. In Blitzaktionen wurde ein Bankenrettungspaket durch das Parlament bugsiert, später folgten das erste Konjunkturpaket, ein Rettungsfonds für bedrohte Unternehmen und das zweite Konjunkturpaket. Immer schon hatte die SPD der Großen Koalition unter Angela Merkel gerne das Label »sozialdemokratisch« aufgeklebt. Doch jetzt, wo eine Unions-Kanzlerin Banken verstaatlichen und marode Automarken retten musste, schien es plötzlich auf spektakuläre Weise passend.

Es ist der Großen Koalition gelungen, das deutsche Bankensystem zu stabilisieren, den Konjunktureinbruch abzudämpfen und den Arbeitsmarkt so lange stabil zu halten; darauf blicken die Akteure bis heute mit einer Art ungläubigem Stolz. Dass die Abwrackprämie vielleicht doch nur eine milliardenteure Verschleppung des unweigerlichen Kriseneinbruchs für die Autoindustrie bedeutet oder dass die Opel-Rettung sich als marktverzerrende Intervention ohne ökonomische Perspektive erweisen könnte, mag sein. Doch an das schwindelerregende Erfolgserlebnis der großkoalitionären Krisenmanager reicht solche Skepsis heute nicht wirklich heran. Sie haben es geschafft, das Land bisher durch die Krise zu steuern. Bei aller Bescheidenheit der Akteure handelt es sich dabei um eine Art politischer Heldenerfahrung.

Aber es gibt in diesem Wahljahr nicht nur die konfrontationshemmende Zufriedenheit der erfolgreich Regierenden. Es gibt auch die Sprachlosigkeit zwischen ihnen und dem Volk. Bei jenem ist die Ahnung weit verbreitet, dass die ganze Dimension der Krisenfolgen erst noch sichtbar wird. Doch genau dieses Gelände meiden die Regierenden im Wahlkampf. Vielleicht wissen sie so wenig wie das Publikum, was auf sie zukommt. Doch die Gelassenheit, mit der das Wahlvolk stattdessen die routinierten Formeln hinnimmt, die der Wahlkampf produziert, täuscht vielleicht. Die Große Koalition hat eine passable Bilanz vorzuweisen. Und doch könnten nicht nur die darbende SPD, sondern beide Volksparteien am 27. September einen hohen Preis bezahlen. Für vier recht erfolgreiche Jahre.



Quelle: Matthias Geis, „So war’s!“, Die Zeit, Nr. 39, 17. September 2009.

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