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Bilanz der Großen Koalition (17. September 2009)

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Toleranter, liberaler, ökologischer

Die eigentliche Veränderung, die die Große Koalition bewirkt hat, liegt denn auch auf dem gesellschaftspolitischen Feld. Sicher war es die rot-grüne Koalition, die nach dem Machtwechsel 1998 mit den Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts, zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder zur Einwanderung eine neue Ära einleitete. Doch zugleich wirkten die rot-grünen Entscheidungen unter den Bedingungen des Lagerkampfes wie der Startschuss in eine neue, ideologisch aufgeladene Ära. Scheinbar unspektakuläre Neuerungen wie das Staatsbürgerschaftsrecht oder Schröders Greencard Initiative sorgten plötzlich für brisanten Konfliktstoff. Erst die Große Koalition hat diesen Kulturkampf beendet.

Es war die Merkel-CDU, die ideologisch abrüstete und deren Minister nun für die neuen zeitgemäßen Positionen in der Familien- und der Ausländerpolitik stritten. Erst in der werbenden Auseinandersetzung mit der traditionsorientierten Klientel der Union bildete sich ein neuer gesellschaftspolitischer Konsens, den eine rot-grüne Reformpolitik allein gerade nicht hervorbringen konnte.

Die Partei, die am längsten an der Fiktion, Deutschland sei kein Einwanderungsland, festgehalten hat, vertritt heute mit Wolfgang Schäuble eine offensive Integrationspolitik. Und mit Ursula von der Leyen hat das traditionelle Familienbild seine Orientierungskraft für die deutsche Familienpolitik eingebüßt.

Der neue Konsens, den die Union vorangetrieben hat, zeigt, wie eine Große Koalition funktionieren kann: durch die Risikobereitschaft der beteiligten Parteien. Ähnlich wie zuvor die SPD in ihrer Agenda-Phase hat sich die Union in der Großen Koalition zu einer zeitgemäßeren Gesellschaftspolitik durchgerungen. Dass eine solche Wende nicht zwangsläufig belohnt, manchmal sogar bestraft wird, hat die SPD nach 2003 erfahren. Heute blickt die Union mit einigem Bangen auf die Mobilisierbarkeit ihrer konservativeren Klientel. [ . . . ]

Nach vier Jahren Großer Koalition fehlt heute der Resonanzboden für ideologisch aufgeladene Kontroversen, die früher zu jedem Wahlkampf dazugehörten. Stimmungsmache gegen Ausländer ist heute nur noch ein Randphänomen. Auch die Polemik gegen Umwelt- und Klimaschutzpolitik, die früher zum antigrünen Ton beider Koalitionsparteien gehörte, ist längst nicht mehr zeitgemäß. Am Ende dieser Wahlperiode wirkt das Land toleranter, liberaler, ökologischer als zu Beginn. Die erste Große Koalition 1966 bis 1969 fand im Zeichen gesellschaftlicher Polarisierung statt, die zweite ist ein Projekt der Entspannung.

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