GHDI logo

Wut in der Bevölkerung gegen die Kürzung des Arbeitslosengeldes (9. August 2004)

Seite 2 von 4    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Befeuert wird die Hysterie von manchen Medien. Seit Wochen berichten Reporter der Super Illu („Der Osten brennt“) über Schicksale wie dem von Manja Kling aus Neubrandenburg, die nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll. Dabei zählt die allein erziehende Mutter mit ihren zwei Kindern zu den Gewinnern der Reform: Sie wird vom kommenden Jahr an sogar mehr in der Tasche haben als heute. Mit den Fakten nimmt es auch der Mitteldeutsche Rundfunk in seinem Nachrichtenmagazin Exakt nicht so genau. Musikalisch untermalt vom schwermütigen Gebimmel einer Friedhofsglocke, berichtete der Sender über den Fall von Hans-Jürgen Tengler, dem es jetzt „ans letzte bisschen Eigentum“ gehe: seine Gartenlaube. Dabei haben sich die Regeln ausgerechnet in diesem Punkt nicht geändert. Auch die Bild-Zeitung ruft zur Hartz-Hetzjagd und veröffentlichte ein fiktives „Zusatzblatt Kind“ („Wiegen deine Playmobil-Figuren mehr als ein Kilo?“), das es – so Bild listig – natürlich „nie geben darf“. Der Gewinner des sommerlichen Durcheinanders aus berechtigten Bedenken, diffuser Angst und populistischer Polemik steht bereits fest: die PDS. In die Wahlkämpfe in Sachsen und Brandenburg wird sie mit dem viel versprechenden Motto ziehen: „Hartz IV – das ist Armut per Gesetz“. Und weil die Protestpartei sich auch als eine Art postsozialistischer Selbsthilfeverein in Szene setzen will, bietet sie neben der geballten Faust auch die helfende Hand.

Im PDS-Büro von Jüterbog, im Süden Brandenburgs, verspricht die Partei wie derzeit überall im Osten: „Hier Hilfe beim Ausfüllen des Hartz-Fragebogens“. Gleich am ersten Tag wurden über 60 Hilfesuchende angelockt – in der Hand die Fragebögen der Bundesagentur, Versicherungspolicen und Sparbücher. „Die Leute waren vollkommen hilflos“, sagt Maritta Böttcher. Die Frau, die es in der SED zur 1. Kreissekretärin gebracht hatte, saß bis zum Jahr 2002 als PDS-Abgeordnete im Bundestag. Inzwischen leitet sie die Bundesgeschäftsstelle der PDS in Berlin. Von dort wird ostweit der Widerstandswille gestärkt.

Kaum hatte die Bundesagentur für Arbeit an Hunderttausende Arbeitslose ihre Fragebögen verschickt, bekamen alle PDS-Kreisverbände eine mahnende Mail von der Genossin in der Zentrale: Es komme jetzt darauf an, „Partei für den Alltag“ zu sein und „überall vor Ort ein- bis mehrmals wöchentlich ein Hilfsangebot zu unterbreiten“. Es ist auch Hilfe zur Selbsthilfe für eine bereits totgesagte Partei. Mit kläglichen vier Prozent hatte die PDS vor zwei Jahren den Einzug in den Bundestag verfehlt, ihre Top-Funktionäre waren in tiefe Grabenkämpfe verstrickt. Nun stehen sie vor einem erstaunlichen Comeback. Was das Hochwasser für Kanzler Schröder im Wahlkampf 2002 war, das ist für die Postkommunisten „Hartz IV“ die letzte Rettung. Dabei kennen die Ostgenossen keinerlei Hemmungen. PDS-Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz polemisiert gegen den „brutalstmöglichen Sozialabbau“. Einen „wild entschlossenen Sozialräuber“ nennt die Berliner PDS-Frau Petra Pau Wirtschaftsminister Clement. Nur zu genau kennen die Genossen die verunsicherte ostdeutsche Seele. Eine diffuse Mischung aus berechtigter Furcht, chaotischer Informationspolitik der Bundesregierung, kompletten Falschinformationen und einem Wirrwarr aus immer neuen Reformvorschlägen macht den Ossis derzeit zu schaffen. Im Schnitt liegt die Arbeitslosigkeit zwischen Rügen und Thüringer Wald bei knapp 19 Prozent. Den Versprechungen der Politik, endlich Jobs zu schaffen, schenken sie längst keinen Glauben mehr.

[ . . . ]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite