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Bundespräsident Johannes Rau fordert eine Globalisierungspolitik (13. Mai 2002)

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IX.

Wenn Probleme global werden oder sind, dann muss auch die Politik global handeln. Da geht es um Klimaschutz und um das internationale Finanzsystem, um Standortwettbewerb und Sozialdumping, um Wirtschaftskrisen und Fluchtursachen. Wie wir die globalen Herausforderungen gleichberechtigt gestalten können, das diskutieren wir inzwischen unter dem englischen Schlagwort „global governance". „Global governance" heißt nicht Weltregierung und schon gar nicht, dass der Nationalstaat überflüssig wird. Die Staatengemeinschaft muss aber konstruktiv zusammenwirken. Wir brauchen regionale und weltweite Kooperation, aber keinen Zentralismus, wir brauchen multilaterale Zusammenarbeit und nicht die Vorrangstellung einzelner.

Die weltweite Zusammenarbeit ist viel weiter fortgeschritten, als uns manchmal bewusst ist: Globale und regionale Organisationen überwachen Wahlen, bekämpfen neue Formen der organisierten Kriminalität und beschließen über humanitäre Interventionen. Auch Rüstungskontrolle und Abrüstung sind wichtige Elemente eines internationalen Ordnungsrahmens.

Am wichtigsten sind die Vereinten Nationen. Sie müssen gestärkt werden. Die Vereinten Nationen sind ja weit mehr als der Weltsicherheitsrat. Sie beschäftigen sich mit Fragen der Gesundheit und des Arbeitsschutzes, mit globalen Umweltfragen und mit dem Kampf gegen Hunger und Armut. Die Debatte über die Reform der Vereinten Nationen ist endlich im Gang. Es ist gut, dass sich viele daran beteiligen. Heute stehen wir vor anderen Aufgaben als vor fünfzig Jahren. Dem müssen die Vereinten Nationen Rechnung tragen.

Global governance" – dazu gehört auch eine weltweit anerkannte Rechtsordnung. Wir brauchen zuverlässige und unabhängige Gerichte und Schiedsstellen, die Streitfälle schlichten, Verbrechen international ahnden und dafür sorgen, dass jeder die Hand des Rechts fürchten muss, der die internationale Ordnung verletzt. Ich gestehe: Es bereitet mir Sorge, dass das Projekt, einen Internationalen Strafgerichtshof einzurichten, jetzt einen so schweren Rückschlag erlitten hat.

Drei Institutionen bestimmen heute in besonderer Weise die Art und Weise, wie Globalisierung stattfindet: Der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation. Die Arbeit dieser Institutionen wird natürlich auch kritisiert. Manche werfen ihnen vor, dass sie von einseitigen Interessen und unkritischer Marktgläubigkeit bestimmt seien.

Die Entwicklungsländer müssen stärkeres Gewicht bekommen in den Entscheidungsgremien von Weltbank, Weltwährungsfonds und Welthandelsorganisation. Diese Organisationen sind den Menschen auf dem ganzen Globus verpflichtet und nicht wirtschaftlichen oder anderen Einzelinteressen.

Wir Europäer müssen unsere Vorstellungen einer sozial und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft noch stärker als bisher einbringen. Auch das gehört dazu, wenn wir weltpolitisch mehr Verantwortung übernehmen sollen und wollen.

Regionale Kooperation stärkt internationale Zusammenarbeit. Sie gewinnt die Souveränität zurück, die demokratisch bestimmte Macht, die die einzelnen Nationalstaaten im Zuge der Globalisierung verloren haben. Die Europäische Union ist ein gelungenes Beispiel dafür. Sie kann und muss einen wichtigen Beitrag zur Globalisierung leisten. Als Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit ist sie ein Vorbild für andere Regionen.

Wichtige Impulse für die politische Gestaltung der Globalisierung gehen heute auch von den Nichtregierungs-Organisationen aus. Sie helfen, Probleme zu erkennen und Lösungsstrategien zu entwickeln.

Unternehmen und Unternehmer tragen Verantwortung nicht nur gegenüber ihren Eigentümern und ihren Arbeitnehmern. Sie haben auch eine gesellschaftliche Verantwortung in der Stadt, in der Region und in dem Land, in dem sie wirken. Bei vielen Unternehmen in Deutschland hat das gute Tradition.

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