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Bundespräsident Johannes Rau fordert eine Globalisierungspolitik (13. Mai 2002)

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IV.

Die Globalisierung hat aber Folgen, die über Märkte für Waren und über vernetzte Finanzmärkte hinausreichen: Sie betrifft unseren Umgang mit der Natur, sie betrifft das Leben von Menschen und die Lebensbedingungen in vielen Ländern.

Lange schon hat es nicht mehr eine so breite, internationale Protestbewegung gegeben wie die der Globalisierungskritiker. Erstmals seit Jahren finden sich wieder Menschen aus allen Erdteilen, Menschen ganz unterschiedlicher sozialer und politischer Herkunft für eine gemeinsame Sache zusammen: Vom Bauern in Guatemala bis zur Studentin aus New York, vom Gewerkschaftssekretär in Göppingen bis zum Kardinal von Genua.

Diese Bewegung hat viel angestoßen, sie stellt richtige Fragen. Das gilt auch dann, wenn es bei Demonstrationen immer wieder zu Gewalt kommt. Für alle muss gelten, dass Gewalt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist.Vernünftige Kritiker und vernünftige Befürworter der Globalisierung stehen einander nicht unversöhnlich gegenüber.

Die Befürworter betonen Chancen. Die Kritiker wehren sich gegen Fehlentwicklungen und machen auf Gefahren aufmerksam. Kritik ist immer auch eine Art Frühwarnsystem, das Politik und Wirtschaft nicht ignorieren sollten.

Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 1998, Amartya Sen, hat gesagt: „Obwohl ich für die Globalisierung bin, danke ich Gott für die Antiglobalisierungsbewegung." Er hat recht.


V.

Die Globalisierung gestalten kann nur, wer klare Wertvorstellungen jenseits des Wirtschaftlichen hat. Wir müssen uns darüber klar werden, wie wir Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen in Zeiten der Globalisierung sichern und fördern können. Jedem von uns ist seine Freiheit wichtig. Auch die wirtschaftliche Freiheit gehört zu den wesentlichen Freiheitsrechten. Sie ist Voraussetzung für eine leistungsfähige Wirtschaft und Wohlstand für alle. Darum kann man Geld auch mit Recht ein Instrument der Freiheit nennen.

Wirtschaftliche Freiheit baut wie alle Freiheit auf Voraussetzungen auf und lebt von Bindungen. Sie ist schnell am Ende, wo keine Ordnung besteht und wo diese Ordnung nicht durchgesetzt werden kann. Dem Markt einen Rahmen zu geben und den Wettbewerb fair zu organisieren, das zählt zu den großen Kulturleistungen der Menschheit.

Kein Mensch ist schon deshalb frei, weil er am Markt teilnehmen kann. Jeder Mensch aber verliert ein Stück seiner Freiheit, wenn er vom Markt ausgeschlossen ist. Nur der kann glaubwürdig für die Freiheit des Marktes eintreten, der sie als einen Teil der umfassenden menschlichen Freiheit begreift. Auch der Markt lebt von Voraussetzungen, die er nicht selber schaffen kann.

Wenn jetzt der Markt global wird, dann brauchen wir auch Ordnungen, die weltweit die Freiheit der Menschen sichern. Dann muss die Politik dafür sorgen, dass die Freiheit des globalen Marktes die Freiheit der Menschen nicht beschädigen kann. Alle müssen an den Vorteilen teilhaben können, die die weltweite Arbeitsteilung mit sich bringt. Davon sind wir weit entfernt. Die Globalisierung ist noch gar nicht so global, wie sie sich anhört:

In den ärmsten Staaten der Welt leben heute vierzig Prozent aller Menschen, ihr Anteil am Welthandel liegt unter drei Prozent. Über drei Viertel des Welthandels hingegen entfallen auf knapp sechzehn Prozent der Weltbevölkerung. Über achtzig Prozent der Direktinvestitionen konzentrieren sich auf nur zehn Länder. In Afrika leben dreizehn Prozent der Weltbevölkerung; sie haben aber nur 0,3 Prozent aller Internetanschlüsse. Da gibt es nichts herumzureden: Bisher droht die Globalisierung den Globus zu zerstückeln.

Wir können den Markt niemals allein von seinen beeindruckenden Ergebnissen für die Gewinner her beurteilen. Wir müssen immer auch fragen, wie diese Ergebnisse zustande gekommen sind.

Eine Politik der Freiheit wird nur dann auch wirtschaftlich überzeugen, wenn sie Menschen befreit von Ausbeutung, aus Armut und Überschuldung, wenn sie für gleiche Chancen sorgt, wenn sie zu gegenseitigem Respekt beiträgt und wenn sie alle teilhaben lässt an dem, was den Globus bewegt. Um nicht mehr und um nicht weniger als um eine solche freiheitliche Ordnung geht es.

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