GHDI logo

Kanzler Kohl befürwortet Anstrengungen zur Erhöhung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit (25. März 1993)

Seite 4 von 6    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Es kann doch nicht hingenommen werden, daß die Hochschulen auf Grund steigender Überlastung ihre Aufgaben in Lehre und Forschung nicht mehr erfüllen können, während das duale Ausbildungssystem immer mehr an Bedeutung verliert und in den alten Bundesländern Jahr für Jahr über 100.000 Lehrstellen unbesetzt bleiben.

Es kann doch auch nicht richtig sein, wenn die Zahl der Studenten die der Lehrlinge immer deutlicher übersteigt. Natürlich ist der Vergleich schwierig, weil jeder von uns weiß, daß das Studium länger dauert als die Lehre. Aber es muß uns doch zu denken geben, wenn inzwischen 1,8 Millionen Studenten nur 1,6 Millionen Lehrlinge gegenüberstehen. Diese Zahl muß doch eigentlich jeden überzeugen, daß hier etwas geschehen muß.

Wir leisten uns in Deutschland extrem lange Ausbildungszeiten für junge Akademiker — im Vergleich zu unseren Nachbarn in der EG, in Europa und den USA ungewöhnlich lange Ausbildungszeiten —, was gleichzeitig die Chancen für die jungen Deutschen in der künftigen Europäischen Union wesentlich schmälert.

Im Durchschnitt verlassen 27 Prozent der Studenten die Hochschulen ohne Abschluß, in manchen Fachbereichen bis zu 50 Prozent. Das ist für mich nicht primär eine Frage des Geldes, sondern der für junge Leute deprimierenden Erfahrung, die besten Jahre zum Lernen auf diese Art und Weise zu vertun.

Die jungen Deutschen müssen im zusammenwachsenden Europa im Wettbewerb mit ihren Altersgenossen aus anderen Ländern konkurrenzfähig sein. Deswegen geht es hier um eine gesamtstaatliche Aufgabe — bei aller Anerkennung der föderalen Zuweisung der Kompetenzen.

Ich will bewußt einmal ein Thema ansprechen, das gemeinhin vermieden wird, nämlich die Frage nach der Leistungsfähigkeit und der Effizienz im Bereich der Hochschulen; das wird ja gemeinhin immer nur in der Abteilung „Studenten“ behandelt. Ich finde, es muß ein gemeinsames Ziel einer durchgreifenden Reform sein, zu einer wirklichen Straffung der Studiengänge zu kommen. Aber ich finde auch, daß dabei die Möglichkeit von Leistungskontrollen gegenüber den Lehrenden an deutschen Hochschulen einbezogen werden muß.

In anderen Ländern — beispielsweise in den USA, aber nicht nur in den USA — wird in die Beurteilung von Hochschullehrern immer auch das Votum von Studenten, die den Lehrer als Pädagogen erleben, einbezogen.

Natürlich weiß ich auch, daß bei den unterschiedlichen Systemen der vom Steuerzahler getragenen Universitäten und der Privatuniversitäten in den USA solche Beispiele nicht automatisch auf Deutschland zu übertragen sind.

Trotzdem bin ich davon überzeugt, daß es auch bei uns zwingend geworden ist, Leistungsvergleiche zwischen den Hochschullehrern und den Universitäten herbeizuführen. Es kann nicht angehen, daß in demselben Bundesland — das hat wiederum überhaupt nichts mit der Parteifarbe der Landesregierung zu tun — an vergleichbaren Universitätsinstituten völlig unterschiedliche Abschlußzeiten erreicht werden. Es muß doch möglich sein, die Frage der Leistungskontrolle auch in diesem Bereich einmal in die öffentliche Diskussion zu bringen.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf das andere Thema, das seit zehn Jahren auf der Tagesordnung steht und nicht so recht vorankommt — übrigens wiederum in keiner der großen politischen Parteien. Das ist die Frage der Verkürzung der Schulzeit an Gymnasien von neun auf acht Jahre. Eine Entscheidung ist überfällig.

In den neuen Bundesländern sind acht Jahre die Regel. Sie werden sie selbstverständlich nicht ändern. Mir kann letztlich niemand klarmachen — auch nicht meine besonders geschätzten bayerischen Freunde —, daß man am Gymnasium in Freilassing neun Jahre braucht und daß man 20 km entfernt am Akademischen Gymnasium in Salzburg in acht Jahren ein qualifiziertes Abitur erreichen kann. Ich glaube, auch diese Entscheidung ist überfällig.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite