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George Grosz, „Unter anderem ein Wort für deutsche Tradition” (1931)

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Die Künstler, abgebröckelte und liegengebliebene Krümel einer vergangenen Zeit.

Isoliert vom Volk. Die besten von ihnen in einem intellektuellen Nebelland. Nur formale Probleme, wütende Abstrakte. Gegenstand Sache der Fotografie. Formale Probleme, die der gewöhnliche Sterbliche ohne Spezialeinfühlung oder Snobismus kaum begreift. Überhandnehmen einer ebenso langweiligen Alles-und-Jedes-Fotografiererei. Die Elfenbeinturmbewohner abgedrängt und verängstigt hinter verschlossenen Türen ihr mathematisches Ich erlauschend. Reißschiene und Zirkel bereit zur Abstraktion. Absonderliche Spekulanten und Abergläubische an allen Ecken. Schwafelnde Kunsthistoriker. Neues Raumbild, neues Material nebst Magie, maschinelle Schlagworte. Manchmal mit Banner des Proletariats und so. Doch heute weniger als gestern. Konjunktur in Absonderlichkeiten. Psychoanalyse und andere Patentmedizinen müssen herhalten. Großer Abstand zwischen Kunst dieser Art (avantgarde) und Volk. Nur ein paar unbefriedigte Reiche mit Launen und schlechten Angewohnheiten haben heute eigentlich noch Interesse an den Experimenten der Künstler. Meist entpuppt sich auch diese große Liebe hinterher als platte Spekulation verkappter Kunsthändler. Welch Juste Milieu, welch Verfall der Kunst im Gegensatz zum wirklichen dunklen Mittelalter. Augen rückwärts, nicht vorwärts.

Nun, kein mittelalterlicher Künstler predigte das Lob des Fertigfabrikats, das keep smiling, Standardbegriff und Komfort kannte er nicht. Das Geldverdienen wurde nicht verherrlicht, noch besungen oder bemalt. Zirkel und Lineal führten in einer richtigen Hierarchie der Werte ein untergeordnetes Dasein.

Heute sind die besten Maler volksabgewandt. Gelegentlich kommt dann ein einfacher Mann aus dem Volke, ein Dilettant, und hat plötzlich alles, was der erlesenen intellektuellen Avantgarde fehlt: Einfachheit, Gemüt und Gefühl. Eigenschaften, die übrigens seit Henri Rousseau die eleganten Kunstsnobs und Volksfeinde für sich entdeckten und reklamieren.

Die Kunst der Zeit ist blaß. Ein Kind mit einem zu großen Kopf und einer Hornbrille. Blutarm und sehr nachdenklich ... ein richtiges Stubenkind der großen Städte. Man sieht ihm an, daß es viel spintisiert. Natur- und wirklichkeitsabgewandt, schafft es aus sich heraus exakte Kreise und mathematisch scheinende Figuren. Und nimmt all dies ungeheuer ernst. Man wird wahrhaftig staunen und schmunzeln, wenn man in späterer Zeit einmal das betrachtet, was heute den Leuten durch geschickte Propaganda und Tumbgläubige als „letzte“ Kunst aufgeredet worden ist.

Gab es da ja sogar einen gewissen Malewitsch, der (toternst meinte er’s) einmal ein Bild, das leere weiße Viereck, ausstellte. Von einem Herrn Kritiker als die „Tat der Epoche“, ebenso toternst, belobt.

Als alter „Holländer“ kann man heute gewiß nicht mehr leben. Aber man sollte auf Blättern und Tafeln in dieser glaubenslosen und materialistischen Zeit den Menschen ihre verborgene Teufelsfratze zeigen. Reißen wir doch die Stapel der Fertigfabrikate und den ganzen Fabrikpofel herunter und zeigen wir das gespenstische Nichts dahinter. Politische Erschütterungen werden uns wirksam beeinflussen. Betrachte rückwärts ruhig deine Vorfahren. Sieh sie dir an, die Multscher, Bosch, Breughel und Mäleßkircher, und den Huber und Altdorfer. Warum denn nach wie vor ins spießbürgerliche französische Mekka pilgern. Warum nicht an unsere Vorfahren anknüpfend eine „deutsche“ Tradition fortsetzen?

Unter uns gesagt, lieber doch als zweitklassig einrangiert werden, aber wenigstens ein wenig von unserer Volksgemeinschaft ausgesagt zu haben. Abgesehen hiervon interessiert gerade den Franzosen die Nachtreterei seiner drei Schulen gar nicht.

Natürlich gedeiht in Hinterpommern oder Berlin kein Matisse. Aber was macht das! Die Luft und alles ist hart, ein wenig ungemütlich und zeichnerisch. Man kriegt leicht Schnupfen und kalte Füße ... hier ist nicht der ausgeglühte beruhigte Boden des Südens.

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