GHDI logo

Kurt Tucholsky, „Berlin und die Provinz” (1928)

Seite 2 von 2    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Die sind aber meist machtlos. Es gibt in jeder, ausnahmslos jeder Provinzstadt eine Opposition, die es sehr, sehr schwer hat, und die wir von Berlin aus lange nicht genug unterstützen. Erschütternde Briefe beweisen das, Artikel in kleinen Blättchen, die keiner liest, Broschüren ... man betrachte sich beispielshalber das aufschlußreiche Heftchen ‹Würzburg eine Provinzstadt?› (im Verlag der kulturellen Arbeitsgemeinschaft Würzburg 1927). Wie da gerungen wird; wie da versucht wird, das Gute von außerhalb zu adoptieren und das Eigne zu bewahren – und wie aussichtslos das alles ist, wie uneinheitlich, wie durchsetzt mit Romantik, Phrase, verhülltem Katholizismus (der gefährlicher ist als der offene) – machtlos verbluten diese kleinen Gruppen unter den Mächtigen der Stadt und der Provinz.

Die bürgerliche Provinzpresse ist daran nicht schuld, wie die gutgläubigen Eiferer wahr haben wollen; sie ist nur Symptom und Ausdruck der herrschenden Kaste, die mit allen Mitteln – denen des Boykotts, der Kündigung von Redakteuren, der Entziehung von Inseraten – die Zeitungen zu dem machen, was sie sind: zu einem fast uneinnehmbaren Bollwerk der Reaktion. Eine wirklich schwere Schuld hat die sozialdemokratische Provinzpresse. Von Ausnahmen abgesehen – Beispiel: Zwickau – wird hier dem ‹Vorwärts› nachgeeifert. Keine Schwierigkeit wird zu Ende gedacht; nichts steht da ohne Reserve; viel zu selten gehen diese Blättchen aus dem engen Parteitrott heraus, und die Folge ist dann, daß, genau wie in Berlin, die jeweilige ‹Morgenpost› die Massen hat und die Sozialdemokratie das Nachsehen. Das Gebrüll, «die Blätter der Bourgeoisie nicht im Hause zu dulden», taugt gar nichts; denn solange die Arbeiterblätter die Jugend nicht haben und nicht die Frauen, ohne die bekanntlich ein Erfolg überhaupt nicht denkbar ist, solange liegen eben die andern vorn.

Nun ist aber fast ausnahmslos jedes Gremium von Provinzlern: von Stadtverordneten, Parteisekretären, Kreisausschußmitgliedern oder Bürgerausschüssen künstlerisch reaktionär; ob es um die Kunst oder um die Kultur geht, immer werden diese wichtigmacherischen Konferenzen gegen den Geist entscheiden. Sie können das, weil sie die Macht haben. Die Eiertänze der ‹Intendanten›, wie sich städtische Theaterdirektoren heute gern nennen, die Kompromisse der freiheitlichen Experimentierer legen davon Zeugnis ab. Also bedeutet Berlin die Freiheit? Das ist ein schwerer Irrtum.

Berlin ist nur eine große Stadt – und in einer großen Stadt verschwindet der einzelne, kann die Gruppe ungestörter arbeiten, weil der Kreis derer, der in Köln nur achtzig oder hundert Menschen stark ist, hier in die Zehntausende geht; es ist eben alles mit hundert multipliziert. Aber mehr auch nicht. Denn so groß die negative Freiheit in Berlin ist («Hier kann man tun und lassen, was man will») – so klein ist die positive. Man gehe einmal dahin, wo wirklich eine Macht ausgeübt wird: in die Baupolizei, aufs Gericht, in die Schule – und man wird, von zahlreichen freiheitlichen Enklaven abgesehen, auf einen Provinzsumpf stoßen, auf Vorurteile gradezu diluvialer Art, auf unwahrscheinliche Typen, die der Beamtenkörper durch Kooptation aufgenommen hat und die in ihm herrlich gedeihen. Ihr habt alle in der Klasse einen sauren, etwas humorlosen, nicht so wunderschön gewaschenen Mitschüler gehabt, der meist unter den ersten zehn zu finden war – ihr könnt darauf schwören, daß er heute dasitzt und euch regiert. Er ist die unleserliche Unterschrift unter den amtlichen Verfügungen; er begeht die gradezu unverständlichen Schikanen der Verwaltung; er und kein anderer. Auch in Berlin. Der Vorwurf der Provinz, das Berliner Getöse sei nicht Deutschland, ist insofern berechtigt, als tatsächlich der Ruf der großen demokratischen Presse, der Künstler, der freiheitlichen Verbände in keinem Verhältnis zu ihrer wirklichen Macht steht: auf der andern Seite wirkt fast lautlos, immer vorhanden, bedeutend geschickter und vor allem bedeutend rücksichtsloser arbeitend, die Macht der Reaktion, unterstützt von den frommen Wünschen der Börse und der Kaufmannschaft, die in den Berliner Premieren Beifall zu ungefährlichen Demonstrationen klatschen.

In der Provinz aber, an hundert verschiedenen Stellen, wird von unsern Leuten gekämpft: um Licht und Luft und Freiheit. Ich glaube nicht, daß ein neuer ‹Reichsverband zur ...› ihnen helfen kann. Gäbe es aber ein geistiges Reichsbanner, dann wäre ihnen geholfen. Solange es das nicht gibt, scheint es mir Pflicht und Gebot der Klugheit für jeden, der in Berlin eine Machtposition innehat, Energie in die Provinz zu strahlen, statt ihr auf die Schulter zu klopfen. Auf das Geschrei des Landbundes gegen die eigne Hauptstadt gibt es nur eine Antwort: heraus mit der Kraft Berlins, das helle ist, in die Provinz, wo sie dunkel ist.



Quelle: Kurt Tucholsky, „Berlin und die Provinz“ (unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel), Die Weltbühne 24 (13. März 1928), S. 405-08; abgedruckt in Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Band 6, 1928. Reinbek bei Hamburg: Rohwohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1975, S. 70-73.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite