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Friedrich Sieburg, „Anbetung von Fahrstühlen” (1926)

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Was in Amerika an künstlerischen und moralischen Werten geschaffen wird, kommt von den Parias des Landes, den Negern, Juden und Deutschen. Sie werden verfolgt, unterdrückt und man spricht ihnen – mit Recht – den Titel eines hundertprozentigen Amerikaners ab.

Was in aller Welt treibt einen Teil der Berliner Literatur dazu, diese Leute zu bewundern, Millionärsdramen zu schreiben, Faustkampfgloriolen aufzuführen, kanadische Holzhändler zu problematisieren, die Fahrstühle anzubeten, über stählernen Rhythmus zu quatschen, vor der General Motor Company auf den Knien zu liegen? Ein Schriftsteller brach fast in Tränen aus, weil er auf einer Grammophonplatte einen Song hörte, in dem die Sängerinnen nicht Tennessee, sondern »Toannassei« sagten. Warum das? Was sagt er, wenn er anstatt Leipzig »Laipzch« hört? Sollte sich hier eine neue Romantik entwickeln? Sollte Rosegger oder Achleitner verdrängt werden? Vielleicht haben die Buabn und Dearndl ausgespielt, und der Stadtfrack ist vielleicht keine Antithese mehr. Vielmehr beginnen wir jetzt so: »McCormik griff zum Telephon und befahl mit steinhartem Gesicht, die zwölf Eisenbahnzüge mit Weizen für den Staat Ohio aufs tote Gleis zu schieben.« Ich sehe den Unterschied nicht zwischen einer Ideologie, die einen bestimmten Menschentyp – den Bauern – heraushebt und allgemeiner Anbetung zugänglich macht, und einer Idealisierung von Motoren, Fahrstühlen und Geschäftsleuten auf Kosten der übrigen menschlichen und bildlichen Werte. Ohne zu leugnen, daß ein Wolkenkratzer und ein Tannenwald ihren Schönheitswert haben, sehe ich doch nicht ein, daß sie sich als Idealsymbole besonders empfehlen. Die sogenannte Amerikanisierung der Welt ist noch lange kein Faktum.

Welch eine Weltfremdheit spricht doch aus dieser Ingenieur-Romantik, die nicht versteht, wie ein Vergaser arbeitet und deshalb aus dem Pochen von sechs Zylindern den Atem unserer Zeit heraushört. Wo man früher Samtröcke und Flatterschlipse trug, da geht man heute in der Lederjacke. Ich sehe keinen Unterschied. Mit Erstaunen sieht man, daß ein Schreiber von Tiergeschichten, Charles Roberts, feierlich genommen wird und zwar von denselben Leuten, die sich über den gewiß nicht schwächeren Löns lustig machen. Bald werden auch die Geschichten von Marshal und Curwood ihren Einzug in Deutschland halten, in denen weltmüde Amateurjäger im Urwald jungfräuliche Millionärstöchter auflesen, sie über den Mustang hängen und mit ihnen zum Geistlichen galoppieren. Und man wird sie ernst nehmen, nur weil sie in New Brunswick und Alberta, und nicht in der Lüneburger Heide spielen.

Die Maschine braucht kein Feind zu sein, aber auch kein Gegenstand der Verehrung. Sie hat andere Mächte abgelöst, aber keine neuen geschaffen. Die Maschine ist verständlich, für den Mechaniker ist sie kein mystischer Gegenstand. Warum für den Literaten? Wie kann überhaupt das Erlernbare Ehrfurcht einflößen? Man sieht nicht gern, daß das Griechenland Hölderlins durch Amerika abgelöst wird, nur weil einige Leute nicht wissen, wie es auf der Weizenbörse in Chikago oder im Inneren einer Starkstromzentrale zugeht.



Quelle: Friedrich Sieburg, „Anbetung von Fahrstühlen“, Die literarische Welt 2, Nr. 30 (23. Juli 1926), S. 8; abgedruckt in Weimarer Republik: Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, mit einer Einleitung und Kommentaren / herausgegeben von Anton Kaes. Stuttgart Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1983, S. 274-76.

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