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Arnold Brecht über den Kapp-Putsch 1920 (Rückblick 1966)

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Nach einiger Zeit betrat ein Zivilist mit zwei Soldaten, die Handgranaten trugen, vom Büro her mein Zimmer. Er fragte: „Sind Sie bereit, für den Herrn Reichskanzler zu arbeiten.“ Ich sagte: „Das tue ich ja bereits.“ Er sah mich stirnrunzelnd an: „Ich meine nicht für den früheren Reichskanzler, sondern für Reichskanzler Kapp.“ Ich: „Ich kenne nur Reichskanzler Bauer.“ Er: „Der ist abgesetzt.“ Ich: „Er ist nach der Verfassung der einzige Kanzler. Ich habe einen Eid auf die Verfassung geleistet, und ich trage meinen Eid nicht in der Hand, wie Ihre Leute ihre Handgranaten.“ Er: „Sie haben auch einen Eid auf den Kaiser geleistet und doch für Ebert gearbeitet. Also könnten Sie jetzt auch für uns arbeiten.“ Ich: „An diesem Irrtum werden Sie scheitern. Damals hatte uns der rechtmäßige Reichskanzler, Prinz Max, gebeten, für Ebert ebenso wie vorher für ihn zu arbeiten. Ebert und Bauer haben mich aber jetzt nicht gebeten, für Sie zu arbeiten, sondern im Gegenteil.“ Ich zog meinen Mantel mit den Stempeln an und verließ das Haus.

[ . . . ] Auf dem Weg nach dem Potsdamer Platz begegnete ich dem morgendlichen Strom der zu ihren Arbeitsstätten eilenden Menschen, die noch nicht wußten, was geschehen war. Später fuhr ich in unsere Wohnung nach Steglitz, packte ein paar Sachen in eine Handtasche und begab mich zum Anhalter Bahnhof, dem einzigen, der merkwürdigerweise von den Putschisten noch nicht besetzt war, und bestieg den Zug nach Dresden [ . . . ].

In Dresden fand ich Ebert, Noske und andere Minister in einer längeren Besprechung mit General Märcker befangen. Märcker war zwar nicht willens, mit Kapp zusammenzuarbeiten, aber auch nicht, sich und seine militärischen Kräfte eindeutig hinter Ebert zu stellen. Er erbot sich, mit Kapp zu verhandeln. Ebert weigerte sich, ihm einen solchen Auftrag zu geben. [ . . . ]

Aber bei der zweideutigen Haltung Märckers schien die Lage in Dresden nicht sicher genug. Es wurde daher beschlossen, nach Stuttgart überzusiedeln, wo in größerer Entfernung von Berlin und in einer mehr demokratischen Umgebung die Lage günstiger sein würde. Wir fuhren bei Nacht – zuerst im Auto, dann, als das Benzin ausging, mit dem fahrplanmäßigen Schnellzug – und schliefen, so gut wir konnten, in unseren Sitzen. [ . . . ]

Der Zug fuhr nach München; wir mußten daher in der Frühe aussteigen und auf den Zug nach Stuttgart warten. Wir saßen in dem Bahnhofsrestaurant und tranken mit Genuß heißen Kaffee [ . . . ]. Man überlegte, daß es ratsam sei, in Stuttgart für einen würdigen Empfang zu sorgen, um die Autorität der Reichsregierung zu unterstreichen. Es sei gut, wenn Militär, möglichst mit Musik, beim Empfang an der Bahn zugegen sei, um die rechtmäßigen Befehlshaber der Wehrmacht, Reichspräsident Ebert und Reichswehrminister Noske, angemessen zu empfangen. Dieser Vorschlag wurde telegrafisch nach Stuttgart aufgegeben. Plötzlich fragte einer: Seid ihr auch ganz sicher, daß das Militär in Stuttgart treu ist? [ . . . ] Ich wurde dem Telegramm zur Bahnpost nachgeschickt, um die Absendung zu inhibieren [ . . . ]. So fuhren wir beruhigt weiter, wurden auf dem Bahnhof in Stuttgart würdig von der Landesregierung empfangen, wenn auch ohne Militär und Musik, erfuhren, daß das Stuttgarter Militär treu geblieben sei [ . . . ].

Von da an entwickelte sich jedoch der äußere Verkehr befriedigend. Regierung und Staatsverwaltung bemühten sich, den Gästen den Aufenthalt angenehm zu machen und ihnen die sachliche Arbeit zur Niederschlagung des Putsches zu ermöglichen. Die Sitzungen fanden im Neuen Schloß statt, wo wir auch Büroräume bekamen. Ich richtete eine Art Reichskanzlei ein und nahm an den Sitzungen teil.

Es drehte sich hauptsächlich um drei Fragen: erstens so schnell wie möglich festzustellen, welche Heeresteile treu geblieben, welche zu Kapp übergegangen waren und welche schwankten, und diese durch bestimmte Befehle zurückzuführen; zweitens zu entscheiden, ob mit Kapp verhandelt werden sollte oder ob jedenfalls die von Minister Schiffer in Berlin unternommenen Versuche, Kapp zum Rücktritt durch gewisse Zusagen zu bewegen, gebilligt werden sollten; und drittens die besonders im Ruhrgebiet zwischen Kommunisten und Militär entbrannten Kämpfe zum Stillstand zu bringen. Alle stimmten überein, daß es keine Verhandlungen mit Kapp geben dürfe. Im Ruhrgebiet versuchte Severing, als Reichs- und Staatskommissar in ständiger telefonischer Verbindung mit uns – die meistens durch mich ging –, die Lage zu meistern.

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