GHDI logo

Bevölkerungsschwund und die Zukunft Deutschlands (7. Dezember 2005)

Seite 2 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


III.

Der demographische Wandel wird also jeden Einzelnen von uns betreffen. Genauso wichtig ist aber auch die Feststellung: Wir sind den Ursachen und den Folgen des demographischen Wandels nicht hilflos ausgeliefert. Wir haben durchaus Möglichkeiten zu handeln, die Zukunft zu beeinflussen. Und wir müssen diese Möglichkeiten auch nutzen, das schulden wir den nachfolgenden Generationen.

Dann müssen wir uns aber zunächst auch Fragen stellen: Wie stellen wir uns die Zukunft unseres Landes in 20 oder auch in 50 Jahren eigentlich vor? Wie werden wir leben, wie wollen wir leben? Wollen wir vor allem auf die Selbststeuerungskräfte der Gesellschaft vertrauen – oder wollen wir versuchen, Weichen neu zu stellen? Und welche Optionen stehen uns dafür offen? Das sind grundlegende Fragen. Ich wünsche mir eine ganz offene, unvoreingenommene Diskussion darüber – bei dieser Konferenz, vor allem aber auch überall in Deutschland.


IV.

Verstehen, was geschieht, mit den Folgen umgehen und Handlungsoptionen für die Zukunft entwickeln: drei große Herausforderungen für unser Land – und für uns alle hier im Saal.

Vielleicht gehört an den Anfang die Frage, ob die verfügbaren Zahlen und Fakten ausreichen, um die bevorstehenden Veränderungen zu erfassen. Sind unsere Statistiken ausreichend? Oder brauchen wir präzisere Umfragen, tiefer gehende Stichproben, möglicherweise sogar eine neue Volkszählung? Wir wollen die komplexen Folgen kennen, die der demographische Wandel für alle Bereiche unserer Gesellschaft hat. Wir wollen wissen, was er bedeutet für die hier ansässigen Unternehmen und Betriebe, für die Schulen und Universitäten, für die Forschung. Wir wollen herausfinden, wie er das Gesicht unserer Städte und Landschaften verändern wird; wen er wie trifft – im Osten, im Westen, im Norden, im Süden. Und: Wie er sich auf die Beziehungen der Menschen untereinander auswirken wird.

Besonders viele Gedanken mache ich mir selber darüber, was es für ein Land bedeutet, wenn immer weniger Kinder darin leben. Was bedeutet das eigentlich? Man sagt ja oft: „Eine Gesellschaft ohne Kinder ist eine Gesellschaft ohne Zukunft." Und es stimmt ja, Kinder sind von Natur aus neugierig, lernfreudig, zuversichtlich. Aber bedeuten weniger Kinder auch automatisch weniger Innovationsfreude, weniger Offenheit gegenüber neuen Ideen und mehr Zukunftsangst? Ist das so? Muss das so sein? Können ältere Gesellschaften nicht vielleicht genauso offen für Neues sein wie jüngere? Und: Wer sagt denn eigentlich, ob wir und wann wir alt sind? Es gibt ja den Spruch: „Man ist immer so alt wie man sich fühlt" – gilt das auch für ein Land?

Ich bin mir sicher: Man kann auch im Alter offen für Neues und Kreatives sein. Die Erfahrung und Umsicht der Älteren sind in vielen Zusammenhängen wichtig. Ich möchte sogar darüber hinausgehen: Vielleicht werden sie sogar immer wichtiger. Wir müssen das, was die Älteren – in der Sprache der Ökonomen – „akkumuliert" haben, verfügbar machen für die Jüngeren, gerade in einer Phase der Entwicklung unserer Gesellschaft, in der wir viele Anpassungen und Veränderungen zu bewältigen haben. Es würde mich reizen, als Ökonom Modelle zu entwickeln, wie das sogenannte „Humankapital" oder „Humanvermögen" in gesamtwirtschaftliche Modelle integriert werden kann, um herauszufinden, wie man mit diesem Kapital ökonomischer umgehen kann.

Ich halte es deshalb für überfällig, dass wir darüber nachdenken, was wir gegen die Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt tun können, der sich so viele Menschen ausgeliefert fühlen. Was ist das eigentlich für ein Land, in dem wir bald bis 67 arbeiten sollen, in dem aber viele schon mit 50 keine Stelle mehr finden, weil die Unternehmensleitungen eine „vergreisende Belegschaft" befürchten oder weil sie vorrechnen, ältere Mitarbeiter kosteten sie zu viel? Da muss und kann man sich mehr einfallen lassen.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite