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Bernhard von Bülow, „Revolution in Berlin” (posthume Veröffentlichung 1931)

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Ebert deklarierte zunächst sich und einige führende Elemente der Berliner revolutionären Bewegung zu Volksbeauftragten und nahm sodann die Zügel in die Hand. Die Energie, mit der er und besonders Noske in diesen Tagen die sehr dreist gewordenen Spartakisten niederzuhalten wußten, hätte dem Prinzen Max zum Vorbild dienen können. Prinz Max selber fuhr, unbekümmert um die Entwicklung der Dinge in Berlin, nach Baden, dessen dynastische Interessen für ihn wichtiger waren als die Geschicke des Reichs. Wen immer auch Wilhelm II. sich in den verhängnisvollen Oktobertagen 1918 zum Kanzler genommen hätte, einen General, einen Diplomaten, einen Mann der inneren Verwaltung, einen Parlamentarier: keiner hätte im Augenblick der höchsten Gefahr derart seinen persönlichen Egoismus, seine Familien-Interessen über alle anderen Erwägungen gestellt wie dieser prinzliche Neurastheniker. Prinz Max hat sich getäuscht, wenn er glaubte, seine und seines Hauses Sache durch seinen Weggang zu retten. Er lebt als Privatmann am Bodensee. Bezeichnend für die Geistesverfassung der neuen Machthaber war auf der anderen Seite, daß der bisherige Staatssekretär Scheidemann, als er am Nachmittag des 9. November von der Freitreppe des Deutschen Reichstags aus die Republik proklamierte, seine Kundgebung mit den albernen und dabei unwahren Worten einleitete: „Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt.“ Das war eine grausame Selbsttäuschung. Leider hatte das deutsche Volk gar nicht gesiegt, sondern es war gegenüber der Überzahl seiner Feinde, bei unfähiger politischer Leitung durch den Hunger und durch den Dolchstoß von hinten besiegt worden.

Die ersten Tage der neuen deutschen Republik boten auch für denjenigen, der ihr ohne vorgefaßte Meinung und nur mit dem Gedanken gegenüberstand, dem Vaterland möge das Ärgste erspart bleiben, das Bild völliger Verwirrung, einer fast kindischen Unfähigkeit. Die neue Regierung wurde derart gebildet, daß neben Mitgliedern der Mehrheitssozialdemokratie ebenso viele Anhänger der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei in den Rat der Volksbeauftragten berufen wurden, also je zwei Mandatare, je zwei Minister. Das war noch nie und nirgends dagewesen, seitdem das alte Rom, freilich sehr verschieden von dem neuen Deutschland, zwei Consules, zwei Quaestores, gekannt hatte. Über dem Rat der Volksbeauftragten stand als Inhaber der eigentlichen Regierungsgewalt der „Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte“. In der modernen Kunst (oder vielmehr Unkunst) machte sich eine Zeitlang der sogenannte „Dadaismus“ breit, d. h. die Rückkehr zur Ausdrucksform der Säuglinge. Die Kindheit der deutschen Republik war ein politischer Dadaismus. Es tauchten Gestalten auf wie der „Leichenmüller“, ein Demagoge durch und durch, so genannt, weil er erklärt hatte, nur über seine Leiche würde der Weg zu Reichstagswahlen gehen. Natürlich erfreut sich Herr Müller heute noch des besten Wohlseins, obwohl inzwischen mehrfach zum Reichstag gewählt worden ist. Der linke Flügel der Sozialdemokraten wollte den Reichstag abschaffen und ihn durch Arbeiter- und Soldatenräte ersetzen, was, nebenbei gesagt, nicht einmal ein eigener, wenn auch noch so miserabler Gedanke war, sondern eine servile Nachahmung der bolschewistischen Regierungsweise. Nachdem durch Bethmann dem Weltkrieg in seinem Beginn unter dem Beifall aller Gedankenlosen die Spitze gegen das zaristische Rußland gegeben worden war, endete er mit einer Nachäffung der von den Bolschewisten in Rußland propagierten, selbst für ein Herdenvolk wie das russische kaum geeigneten Regierungsform.

Auch in Preußen wurden zunächst für jedes Ressort zwei Minister gestellt, ein Mehrheits- und ein Unabhängiger Sozialist, ein S.P.D. und ein U.S.P.D. An die Spitze des Kultusministeriums traten der Mehrheitssozialist Konrad Hänisch und der Unabhängige Adolf Hoffmann. Der erstere hatte seinen Aufstieg als Ritter der Rosa Luxemburg begonnen, sich dann gemausert und allmählich zum gemäßigten Sozialisten entwickelt. Als solchen habe ich ihn kennengelernt. Er schien kein böser Mensch zu sein, vielmehr jovial und gemütlich, wie dies alte Bohémiens zu sein pflegen, freilich ohne feinere, geschweige denn tiefere Kultur, der Typus eines Halbgebildeten. Sein politischer Zwillingsbruder, der Berliner Kneipwirt Adolf Hoffmann, war wenigstens, was bei Schiller die Gräfin Terzky von Wallenstein fordert, ein eigener Charakter, der übereinstimmt mit sich selbst, das heißt in diesem Fall, daß er auch in parlamentarischer Rede „mir“ und „mich“ verwechselte. Er wurde, nachdem seine Ministerlaufbahn ein baldiges Ende gefunden hatte, der Wortführer der Revolution im Berliner Rathause. Sein Ton hat auf die Verhandlungen dieser Körperschaft auf Jahre hinaus ansteckend gewirkt. Die Stadtverordneten überboten sich in rohen Beschimpfungen, die bis zu tätlichen Angriffen gingen, unter wüstem Gröhlen von der Zuschauertribüne, begleitet von Stinkbomben und anderen geistigen Waffen der jungen Republik. [ . . . ]

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