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Gelebte Integration: Frankreich und Deutschland (8. Juni 2006)

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Nicht überall sind die Grenzgängerströme gleich: In der Südpfalz (Regio Pamina) fahren etwa 16 000 Franzosen in die Fabriken in Rastatt oder Wörth. In Strasbourg sind die hohen Immobilienpreise der Grund, warum viele Franzosen in die deutsche Grenzregion ziehen. Und in der Regio Trirhena, der Europaregion rund um das Städtedreieck Freiburg, Mulhouse und Basel, sind die Grenzgänger größtenteils Franzosen, die in Deutschland oder der Schweiz arbeiten. Vom Elsaß nach Baden pendeln etwa 30 000 Menschen – allein in die Stadt Breisach kommen täglich 800. Außerdem fahren 25 000 Deutsche zum Arbeiten in die Schweiz. Etwa ein Drittel der deutschen Grenzgänger, die in Frankreich wohnen und ihre Arbeitsstelle in Deutschland haben, lebt aus Spargründen in Frankreich. Nach der Einführung des Euro hatte ihre Zahl stetig zugenommen. Seit etwa einem Jahr stagniert sie. Heute leben etwa 15 000 Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Elsaß; 11 000 Personen mit einem französischen Paß leben in Baden. Fast 50 Prozent der deutschen Pendler aus dem Elsaß arbeiten in Deutschland im verarbeitenden Gewerbe. Weil etwa 68 000 Berufspendler aus dem Elsaß in die Nordwestschweiz, in die Südpfalz oder nach Baden zur Arbeit fahren, ist die Arbeitslosenquote im Elsaß geringer als in anderen Regionen in Frankreich. „Außer Käse, Wein und Fisch kaufen wir alle Lebensmittel in Deutschland“, sagt Hervé Piernot. Am Wochenende stehen in Frankreich lebende Deutsche und Franzosen vor den deutschen Lebensmittel-Discount-Märkten Schlange.

Die an das Neubaugelände von Volgelsheim grenzende Kaserne wird gerade renoviert. Das Interesse an den Wohnungen sei sehr groß, sagt Piernot. „Da ist schon vieles verkauft.“ Aber nicht überall funktioniere das Zusammenleben zwischen zugezogenen Deutschen und Franzosen so gut wie in seiner Siedlung. „Manche wollen sich nicht anpassen. Sie schicken ihre Kinder in den Kindergarten nach Breisach und nutzen noch nicht einmal die Chance, daß die Kinder hier im französischen Kindergarten beide Sprachen lernen könnten“, sagt er. In Frankfurt, Stuttgart oder Berlin dagegen geben Eltern viel Geld für einen Platz in einem mehrsprachigen Kindergarten aus. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 1997 – an deren Ergebnis sich grundsätzlich nichts geändert hat – sprechen nur 14 Prozent der deutschen Neusiedler im Elsaß fließend Französisch. Je höher der Bildungsabschluß, desto besser ist das Sprachvermögen und desto geringer sind die Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung. Der deutsche Linksintellektuelle, der sich im Elsaß ein Bauernhaus gekauft hat und, wie die Elsässer manchmal lästern, mit der Baskenmütze ins Bett geht, ist hier ohnehin eine Minderheit. „Als ich aus der Normandie nach Breisach kam, war ich überrascht, wie hoch die Sprachbarriere noch ist“, sagt Emilie Dumaine, Beraterin von Grenzgängern bei Infobest. Bilingualen Pflichtunterricht gibt es im Elsaß schon seit dem Jahr 1990 – entlang der sogenannten Rheinschiene in Baden-Württemberg aber erst seit 2003. Die französische Regierung hat für die Zweisprachigkeit mehr getan als die deutsche oder auch lange Zeit die Landesregierung von Baden-Württemberg. Der deutsche und der französische Arbeitsmarkt sind noch nicht hinreichend durchlässig. Das grenzüberschreitende Netzwerk Eures-T hat sich zur Aufgabe gemacht, dies zu ändern und das Leben der Grenzgänger zu erleichtern. Aber wenn ein in Frankreich lebender Deutscher arbeitslos wird, gibt es noch immer viele bürokratische Probleme mit beiden Arbeitsämtern. „Es gibt viele Deutsche, für die ihr Haus in Frankreich nur eine Schlafstätte ist und die alles andere in Deutschland machen. Bei den Elsässern kommt das natürlich nicht so gut an“, sagt Dumaine.

Auch Piernot glaubt, daß einige Deutsche die französische Lebensart zu sehr ablehnen. „Bei uns wird der Rasen auch fünf Minuten nach 18 Uhr gemäht, da sind wir Franzosen einfach toleranter. Viele Deutsche wollen das nicht verstehen und regen sich sofort auf“, sagt er. Wer die deutsche Mentalität verstehen wolle, der solle in das Neubaugebiet von Algolsheim fahren; dort, wo die Siedlung mit den ordentlichen deutschen Einfamilienhäusern steht. Piernots rechte Hand zeichnet gleich große Grundstücke in die Luft. „Tack!“ sagt er jedesmal laut, wenn er die Gartenzäune in die Luft malt, die zwischen den Grundstücken stehen.

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