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Hoffnungen und Befürchtungen am Vorabend der Osterweiterung (26. April 2004)

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Fünf Prozent aller deutschen Auslandsinvestitionen fließen in die Reformländer Osteuropas, bis 2001 waren es 33,6 Milliarden Euro. Deutsche Unternehmen kauften sich in privatisierte Branchen wie Telekommunikation und Energie ein, deutsche Handelsketten breiteten sich aus. Die Filialen von Metro, Deichmann, Rossmann oder Lidl säumen die Einfallstraßen der großen Städte. Auch die Verlage haben den neuen Markt im Osten entdeckt. Der Springer-Verlag brachte eine polnische Ausgabe von Newsweek auf den Markt, sein Boulevardblatt Fakt entwickelte sich binnen weniger Monate zur größten Zeitung Polens.

Schon heute sind die Beitrittskandidaten zusammengenommen noch vor Frankreich und den Vereinigten Staaten der wichtigste Handelspartner der Bundesrepublik. Sowohl die Importe als auch die Exporte haben seit Beginn der neunziger Jahre kontinuierlich zugenommen, zum Teil mit Zuwachsraten von 16 Prozent im Jahr.

Seit 1993 hat sich der Wert der gehandelten Waren verfünffacht, wobei die Deutschen meist mehr exportierten als importierten. In manchen Jahren betrug der Exportüberschuss über sechs Milliarden Euro. „Made in Germany“ hat im Osten einen guten Klang, deutsche Autos und Maschinen sind begehrt. Inzwischen hat sich der Außenhandelssaldo wegen des Aufbaus der dortigen Industrie leicht umgekehrt.

Das baden-württembergische Unternehmen Schuler in Göppingen zum Beispiel, Weltmarktführer bei der Produktion von Metallpressen, stattete 1999 eine komplette Fertigungshalle für Karosserien bei Skoda in Tschechien aus. Anfang des Jahres erhielten die Göppinger zudem die Aufträge, Pressmaschinen für Peugeot in der Slowakei sowie für Renault in Slowenien zu liefern. Allein im vergangenen Geschäftsjahr konnte das 4000-Mann-Unternehmen Bestellungen im Wert von rund 560 Millionen Euro akquirieren, wobei ein Großteil auf Osteuropa fiel.

Einträgliche Geschäfte mit Osteuropa machen sogar kleine und mittelständische Familienunternehmen. C. H. Erbslöh, ein Handelsunternehmen für Spezialchemikalien, eröffnete 1997 das erste Verkaufsbüro in Polen. „Wenn die osteuropäische Wirtschaft konkurrenzfähig werden will, kommt sie gar nicht umhin, in Deutschland Qualitätsprodukte einzukaufen“, sagt Geschäftsführer Carl Hugo Erbslöh.

Einen regelrechten Boom prophezeien Ökonomen den Ländern Osteuropas nach dem EU-Beitritt, mancher spricht gar von einem zweiten Wirtschaftswunder. Und doch wird es Jahrzehnte dauern, bis die neuen Länder wirtschaftlich Anschluss an das alte Europa gefunden haben.

Das Gefälle zwischen West und Ost innerhalb der neuen EU ist entsprechend groß: ob Wirtschaftskraft, soziale und ökologische Standards oder Infrastruktur – zur Europäischen Union gehören nun Staaten, die sich gravierend von den bisherigen Mitgliedern unterscheiden.

Von den östlichen Beitrittsländern erwirtschafteten nur Slowenien, die Tschechische Republik und Ungarn ein Bruttoinlandsprodukt (BIP), das, gemessen in Kaufkraft, über 50 Prozent des bisherigen EU-Durchschnitts von etwa 24 000 Euro liegt. Zum Vergleich: Die neuen Bundesländer, deren Aufbau 14 Jahre nach der Wiedervereinigung durchaus als gescheitert gelten kann, erreichen 70 Prozent des EU-Schnitts – allerdings sind seit der Wende auch 1250 Milliarden Euro in den Osten Deutschlands geflossen.

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