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Europäische Föderation (12. Mai 2000)

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Die europäischen Staaten haben, gerade unter dem Eindruck des Kosovokrieges, weitere Schritte zur Stärkung ihrer gemeinsamen außenpolitischen Handlungsfähigkeit ergriffen und sich in Köln und Helsinki auf ein neues Ziel verständigt: die Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Union hat damit – nach dem Euro – den nächsten Schritt getan. Denn wie sollte man auf Dauer begründen, daß Staaten, die sich durch die Währungsunion unauflösbar und in ihrer ökonomisch-politischen Existenz miteinander verbinden, sich nicht auch gemeinsam äußeren Bedrohungen stellen und ihre Sicherheit gemeinsam gewährleisten?

Ebenfalls in Helsinki wurde ein konkreter Plan für die Erweiterung der EU vereinbart. Nach diesen Beschlüssen dürften die äußeren Grenzen der künftigen EU mehr oder weniger vorgezeichnet sein. Es ist absehbar, dass die Europäische Union am Ende des Erweiterungsprozesses 27, 30 oder noch mehr Mitglieder zählen wird, beinahe so viel wie die KSZE bei ihrer Gründung.

Wir stehen damit in Europa gegenwärtig vor der enorm schwierigen Aufgabe, zwei Großprojekte parallel zu organisieren:

1. Die schnellstmögliche Erweiterung. Diese wirft schwierige Anpassungsprobleme für Beitrittsländer wie für die EU selbst auf. Sie löst zudem bei unseren Bürgern Sorgen und Ängste aus: Geraten ihre Arbeitsplätze in Gefahr? Wird durch die Erweiterung Europa noch undurchsichtiger und unverstehbarer für die Bürger? So ernsthaft wir uns mit solchen Fragen auseinandersetzen müssen, wir dürfen darüber nie die historische Dimension der Osterweiterung aus den Augen verlieren. Denn diese ist eine einmalige Chance, unseren über Jahrhunderte kriegsgeschüttelten Kontinent in Frieden, Sicherheit, Demokratie und Wohlstand zu vereinen.

Die Erweiterung liegt gerade für Deutschland im obersten nationalen Interesse. Die in Deutschlands Dimension und Mittellage objektiv angelegten Risiken und Versuchungen werden durch die Erweiterung bei gleichzeitiger Vertiefung der EU dauerhaft überwunden werden können. Hinzu kommt: die Erweiterung – siehe die Süderweiterung der EU – ist ein gesamteuropäisches Wachstumsprogramm. Gerade die deutsche Wirtschaft wird von der Erweiterung einen hohen Gewinn für Unternehmen und Beschäftigung davontragen. Deutschland muß daher weiter Anwalt einer zügigen Osterweiterung bleiben. Zugleich muß die Erweiterung sorgfältig und nach Maßgabe des Beschlusses von Helsinki vollzogen werden.

2. Die Handlungsfähigkeit Europas. Die Institutionen der EU wurden für 6 Mitgliedstaaten geschaffen. Sie funktionieren mit Mühe noch zu 15. So wichtig der erste Reformschritt mit seiner verstärkten Mehrheitsentscheidung bei der vor uns liegenden Regierungskonferenz auch für den Beginn der Erweiterung ist, so wird er langfristig für die Erweiterung insgesamt allein nicht ausreichen. Die Gefahr besteht dann, dass eine Erweiterung auf 27 – 30 Mitglieder die Absorptionsfähigkeit der EU mit ihren alten Institutionen und Mechanismen überfordern wird, und dass es zu schweren Krisen kommen kann. Aber diese Gefahr spricht, wohlgemerkt, nicht gegen die schnellstmögliche Erweiterung, sondern vielmehr für eine entschlossene und angemessene Reform der Institutionen, damit die Handlungsfähigkeit auch unter den Bedingungen der Erweiterung erhalten bleibt. Erosion oder Integration lautet deshalb die Konsequenz aus der unabweisbaren Erweiterung der EU.

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