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Europäische Föderation (12. Mai 2000)

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Die europäische Integration hat sich als phänomenal erfolgreich erwiesen. Das Ganze hatte nur einen entscheidenden Mangel, der durch die Geschichte erzwungen war. Es war nicht das ganze Europa, sondern ausschließlich dessen freier Teil im Westen. Die Teilung Europas ging fünf Jahrzehnte mitten durch Deutschland und Berlin hindurch, und östlich von Mauer und Stacheldraht wartete ein unverzichtbarer Teil Europas, ohne den die europäische Integrationsidee niemals vollendet werden konnte, auf seine Chance zur Teilnahme am europäischen Einigungsprozeß. Diese kam dann mit dem Ende der europäischen und deutschen Teilung 1989/90.

Robert Schuman hat dies bereits 1963 mit äußerster Klarheit gesehen: „Wir müssen das geeinte Europa nicht nur im Interesse der freien Völker errichten, sondern auch, um die Völker Osteuropas in diese Gemeinschaft aufnehmen zu können, wenn sie, von den Zwängen, unter denen sie leiden, befreit, um ihren Beitritt und unsere moralische Unterstützung nachsuchen werden. Wir schulden ihnen das Vorbild des einigen, brüderlichen Europa. Jeder Schritt, den wir auf diesem Wege zurücklegen, wird für sie eine neue Chance darstellen. Sie brauchen unsere Hilfe bei der Umstellung, die sie zu bewerkstelligen haben. Unsere Pflicht ist es, bereit zu sein.“

Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums mußte sich die EU nach Osten öffnen, sonst hätte sich die Idee der europäischen Integration selbst ausgehöhlt und letztlich zerstört. Warum? Ein Blick nach dem ehemaligen Jugoslawien zeigt uns die Konsequenzen, auch wenn sie nicht immer und überall zu ähnlich extremen Entwicklungen geführt hätten. Eine auf Westeuropa beschränkte EU hätte es dauerhaft mit einem gespaltenen Staatensystem in Europa zu tun gehabt: in Westeuropa die Integration, in Osteuropa das alte Gleichgewichtssystem mit seiner anhaltend nationalen Orientierung, Koalitionszwängen, klassischer Interessenpolitik und der permanenten Gefahr nationalistischer Ideologien und Konfrontationen. Ein gespaltenes europäisches Staatensystem ohne überwölbende Ordnung würde Europa dauerhaft zu einem Kontinent der Unsicherheit machen, und auf mittlere Sicht würden sich diese traditionellen Konfliktlinien von Osteuropa auch wieder in die EU hinein übertragen. Gerade Deutschland wäre dabei der große Verlierer. Auch die geopolitischen Realitäten ließen nach 1989 keine ernsthafte Alternative zur Osterweiterung der europäischen Institutionen zu, und dies gilt erst recht im Zeitalter der Globalisierung.

Die EU hat als Antwort auf diesen wahrhaft historischen Einschnitt konsequent einen tiefgreifenden Umgestaltungsprozess eingeleitet: In Maastricht wurde von den drei wesentlichen Souveränitäten des modernen Nationalstaats – Währung, innere und äußere Sicherheit – erstmals ein Kernbereich ausschließlich in die Verantwortung einer europäischen Institution übertragen. Die Einführung des Euro bedeutete nicht nur die Krönung der wirtschaftlichen Integration, sie war zugleich ein zutiefst politischer Akt, denn die Währung ist nicht nur eine ökonomische Größe, sondern sie symbolisiert auch die Macht des Souveräns, der sie garantiert. Aus der Vergemeinschaftung von Wirtschaft und Währung gegenüber den noch fehlenden politischen und demokratischen Strukturen ist ein Spannungsfeld entstanden, das in der EU zu inneren Krisen führen kann, wenn wir nicht die Defizite im Bereich der politischen Integration produktiv aufheben und so den Prozess der Integration vollenden.

Der Europäische Rat in Tampere markierte den Einstieg in ein neues weitreichendes Integrationsprojekt, den Aufbau eines gemeinsamen Raums des Rechts und der inneren Sicherheit. Damit rückt das Europa der Bürger in greifbare Nähe. Die Bedeutung dieses neuen Integrationsprojekts geht aber noch darüber hinaus: Gemeinsames Recht kann eine große integrative Kraft entfalten.

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