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Eine schlagkräftige europäische Verteidigung? (28. Dezember 1999)

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Noch weit entfernt von der notwendigen Modernisierung

Die gemeinsamen Planungsansätze der wichtigsten EU- und Nato-Partner sind noch immer weit von der notwendigen Modernisierung und Korrektur entfernt. Es ist nicht einmal sicher, dass die Planung wirklich in die „richtige Richtung“ geht. Die derzeitigen Etat- und Programmplanungen in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, um nur die größeren Kontinentalstaaten der EU zu nennen, weisen die Kennzeichen einer materiellen, waffentechnischen und damit qualitativen Stärkung noch nicht auf. Die französischen Ansätze für Kampfpanzer und Kampfhubschrauber wurden in den vergangenen Etatjahren gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung 1997 bis 2002 insgesamt etwa halbiert. Das Projekt eines deutsch-französischen oder europäischen Kampfpanzers wurde eben in Paris zu den Akten gelegt. Die Kosten der Umstellung auf eine Freiwilligenarmee haben sich als weitaus höher erwiesen als geschätzt. Die Hindernisse für eine dauernde europäische Kapazität der Satellitenaufklärung und deren Auswertung sind trotz der französischen „Helios“-Satelliten unverändert.

Die jüngsten EU-Verabredungen über „strategische Aufklärung“ und „strategischen Lufttransport“ (an dem es gleichfalls mangelt) benötigen für ihre Verwirklichung Finanzmittel in zweistelliger Euro-Milliarden-Höhe, wenn neue, moderne Systeme beschafft statt nur ältere, vorhandene gemietet oder gemeinsam von den EU-Partnern genutzt werden sollen. Moderne Informations- und Kommunikationstechnik müsste gemeinsam beschafft werden. Dasselbe gilt für moderne zielsuchende Munition und Abstandswaffen, an denen es im Kosovo-Krieg den europäischen Kampffliegern am meisten fehlte, von Marschflugkörpern nicht zu reden. Welche Munitions- und Waffenvorräte sollen für die Zukunft in Europa gemeinsam angelegt werden? Welche europäischen Fabrikationen sollen sie produzieren? Welche Ersatzteilbewirtschaftung nimmt man sich in Europa im EU-Rahmen innerhalb der Nato vor? Zu welcher praktischen Arbeitsteilung soll es zwischen EU- und Nato-Partnern kommen?

Eine EU-Krisenreaktionstruppe, gleich ob mit 50 000 oder 60 000, müsste auch als ein operativer Großverband eingesetzt werden können, wenn dies einmal notwendig werden sollte. Zwei Monate Vorbereitungszeit ist eigentlich schon zu lang, denn Krisen können schneller eskalieren, Konflikte schon beendet sein, bevor diese Frist abläuft. Im Kosovo-Krieg wurden im Mai 1999 zwei bis drei Monate für die Heranführung größerer amerikanischer Truppenverbände zu offensivem Kriegseinsatz veranschlagt, europäische standen dafür ohnehin noch immer nicht in ausreichendem Umfang bereit (die britische Armee war schon zu mehr als vierzig Prozent für Einsätze disloziert). General Clark sah „mindestens fünfzig Prozent amerikanischer Bodentruppen“ für einen Nato-Landkrieg vor, um die notwendige operative Fähigkeit zu haben.

Das ist die europäische Achillesferse, von Washington erkannt: Die waffen- und informationstechnische Entwicklung hat schon die individuelle Ausrüstung der Soldaten (etwa für den Nachtkampf), die Struktur der Kampfgruppen wie die Aufklärung und Ortung im Gelände erfasst. In Amerika werden kleine und kleinste Trupps größerer Gefechtsreichweite und operativer Autonomie konzipiert (was für das Pentagon wirklich eine „militärische Revolution“ ist). Wenn die Europäer mit ihren knappen Mitteln und plethorischen Truppenzahlen sich nicht auf diesen harten Kern konzentrieren, werden sie den Anschluss, die Orientierung und damit die Zukunftschancen militärischer Relevanz in Krisen und Konflikten verlieren. Hier liegt der eigentliche Einsatz der Partie, die wirkliche militärische Herausforderung, weniger in einer politisch konstruierten „Balance“ zu den Vereinigten Staaten im Bündnis oder in einer künstlichen „europäischen Autonomie“ in Krisen. Die kann eine „strategische" nur dann werden, wenn Westeuropa technisch aufrüstet und den Umfang seiner viel zu großen Streitkräfte und älteren Ausrüstungen erheblich reduziert, dafür auch neue Strukturen des Wehrdienstes und der Truppen für schlagkräftige Armeen und Luftwaffen findet, die nur europäische sein können. Sind Frankreich und Britannien, Spanien, Italien und Deutschland dazu bereit?




Quelle: Lothar Rühl, „Die Kräfte müssen konzentriert werden. Ein Eurokorps Machart ‚Nato light’ oder Entlastung für Amerika in internationalen Krisen durch europäische Schlagkraft?“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Dezember 1999, S. 9. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

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