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Die Konservativen: Friedrich Julius Stahl: „Was ist die Revolution?” (1852)

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Es giebt eine Macht, aber auch nur Eine Macht, die Revolution zu schließen. Dies ist das Christenthum.

Das Christenthum ist der äußerste Gegensatz gegen die Sünde der Revolution. Denn es gründet das ganze Menschenleben auf Gottes Ordnung und Fügung. Das Christenthum ist aber zugleich die tiefste Befriedigung der Impulse der Revolution.

Nur das Christenthum vermag noch die gesellschaftliche Ordnung zu verbürgen, nachdem die Fundamente derselben, Königthum, Eigenthum, Ehe, schon von der großen Volksmasse überlegt und in Frage gestellt werden. Nur der christliche Sinn hat die freudige Hingebung an den König, den Gott uns gesetzt, an die Ehe, die Gott verbunden, an den Beruf, den Gott uns angewiesen, an die Gütervertheilung, die Gott gefügt hat. Der christliche Sinn verlangt nicht nach einer Obrigkeit, die er selbst sich gesetzt, nach einer Verfassung, die er selbst gemacht, nach einem Recht, das er selbst aus seiner Vernunft entdeckt hat. Er empfängt das Alles viel lieber von dem göttlichen Walten, und begnügt sich, an dem großen Bau der Zeiten sein bescheiden kleines Theil beizutragen, wie Gott es ihm zugewiesen.

Aber auch nur das Christenthum vermag es, die wirklichen Ziele, den wirklichen Fortschritt der Zeit zu erfüllen. Nur aus ihm kommen die gestaltenden Principien, von welchen man den befriedigenden Bau der Gesellschaft erwartet, die Freiheit, die Gleichheit, die Brüderlichkeit in ihrem wahren Wesen.

Aus dem Christenthum kommt die ächte Freiheit, daß der Mensch nur aus seinem Innersten heraus handle nach der Gabe, die er von Gott hat, und über die menschliche Obrigkeit nicht Richter ist, und doch zugleich die Gebundenheit an die Ordnungen Gottes, welchen die wahre Freiheit selbst gleich als ihrer Heimath zustrebt.

Aus dem Christenthum kommt die ächte Gleichheit, daß in jedem Menschen das Ebenbild Gottes zu seinem Rechte komme und zu seiner Ehre, die höher ist als Ritterehre, und doch zugleich die gliedliche Stellung für einen jeglichen, welche Mannigfaltigkeit der Rechte und der Ehren mit sich führt.

Aus dem Christenthum kommt die ächte Brüderlichkeit, die in jedem Menschen, nicht, wie der Socialismus, die menschliche Gattung prahlend feiert, sondern das Individuum demüthig liebt nach Leib und Seele, und deswegen das Erbarmen mit der Noth des Volkes, ohne die Verbrüderung mit der Sünde und der Verkommniß des Volkes.

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