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Die Konservativen: Friedrich Julius Stahl: „Was ist die Revolution?” (1852)

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Wenn denn die Revolution von einer solchen unergründlichen sittlichen Tiefe ist, so kann man sich nicht der gewöhnlichen Täuschung hingeben über die Mittel, sie zu schließen.

Man schließt die Revolution nicht durch eine Konstitutions-Urkunde. Eine solche ist vielmehr selbst ein Stück Revolution. Die Franzosen sind von 1789 bis 1852 damit beschäftigt, Konstitutions-Urkunden zu geben und die Revolution ließ sich den gähnenden Rachen nicht schließen durch den papiernen Maulkorb.

Man schließt die Revolution auch nicht durch die mechanische Gewalt, durch den Bonapartismus. Das französische Kaiserreich war nicht die Schließung der Revolution, sondern ihre Konsolidirung. Denn auch im Kaiserreich fehlte, so gut als in der Republik, die Geltung aller natürlichen Elemente, die Gott wachsen ließ, und aller geschichtlichen Elemente, die Gott gefügt hat. Da war keine Landesvertretung aus natürlichen Volkselementen, sondern der Kaiser machte den Senat; der Senat machte den gesetzgebenden Körper willkürlich. Es waren keine natürlichen Gemeinden und deren selbstständige Verwaltung, sondern der Kaiser machte die Gemeinden und setzte ihnen die Verwaltung ein. Es war keine natürliche Entfaltung der Wissenschaft, sondern die Universität von Frankreich, dieses große Dikasterium ungläubiger Gelehrter, befehligte die Wissenschaft in ganz Frankreich, und der Kaiser wieder befehligte die Universität. Selbst die Kirche in ihrer scheinbaren Wiederherstellung sollte nur im Dienste dieser mechanischen Gewalt stehen; die Pfarrer waren in der Willkür der Bischöfe, und die Bischöfe in der Gewalt des Kaisers. Im Kaiserreiche fehlte ferner wie in der Republik jeder Gedanke einer Gebundenheit, sei es an ein überkommenes Recht, sei es an den religiösen Glauben. Es fehlte das Prinzip, das in dem einzelnen Menschen das Gewissen ist, und das ich auch im Staate sein Gewissen nennen möchte, die Gebundenheit an eine von Gott gebotene Ordnung. Ja, ist nicht gerade die Epoche, die das französische Kaiserreich in Europa bezeichnet, das deutlichste Dokument, daß der Gedanke an solche Gebundenheit völlig abgethan war? Hat nicht Napoleon in Europa alles Recht gebrochen, alle Werke göttlicher Fügung zertrümmert, alle Naturfingerzeige der Nationalität für nichts geachtet? Hat er nicht in Allem kund gethan, daß sein eiserner Wille kein höheres Gesetz über sich erkennt? Auch das Kaiserreich ist, wie die Republik ein Reich auf Menschenwillen gegründet, durch Menschenverstand in allen seinen Theilen gemacht, nur Menschenwillen dienend. Der Bonapartismus ist nur eine andere Phase der Revolution. In der Periode des Schreckens waren es die infernalen Mächte, welche ihr Reich in Frankreich aufgeschlagen hatten. Im Kaiserreiche thronten die Naturmächte, die Mächte der Erde. Ein Strahl vom Himmel fiel auch in dieses Reich nicht, und das ist sein grauenhafter Zug. Bei allem Glanze der äußern Bildung und Intelligenz war es die Vernichtung des tiefsten menschlichen Wesens, als welches nur in den Strahlen von Oben Leben und Gedeihen hat. Der Grundzug der Revolution ist Menschenanbetung, Menschenvergötterung; in der Republik war es die Anbetung des Volkes, im Kaiserreiche die Anbetung seines gewaltigen Herrschers. Der Divus Imperator ist das Zurücksinken in das antike Heidenthum. Aber wenn ein christliches Volk ins Heidenthum zurücksinkt, da hat es nicht mehr die Unschuld der bloß natürlichen Mächte, da sind finstrere Mächte mit im Spiel. Wenn Revolution dasselbe wäre mit Anarchie, dann hat allerdings Napoleon die Revolution geschlossen. Wenn aber Revolution bedeutet die Aufrichtung eines Reiches menschlichen Willens gegen Gottes Ordnung, dann hat er die Revolution nicht geschlossen, sondern er ist ihr Vollstrecker, ihr Held. Und wenn vollends in der neuesten Zeit absolutistische Gewalt sich vermählt hat mit der Souverainetät des allgemeinen Stimmrechts, welches das Recht haben soll, Obrigkeiten ein- und abzusetzen, Verfassungen einzuführen und aufzuheben nach Belieben; wenn also nichts Bindendes mehr anerkannt ist, als bloß der Wille von Oben, der fragt, und die Masse der Willen von Unten, die antwortet, ein ewiges Gegenecho menschlicher Willkür; sollte das die Schließung der Revolution sein, und nicht vielmehr ihre riesenhafte Entfaltung? — — —

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