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Pazifismus in der Bundesrepublik (Januar 2003)

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Als die bundesdeutsche Friedensbewegung Anfang der achtziger Jahre gegen die westliche Nachrüstung mobilmachte, war ihr moralischer Kredit gewaltig. Man mochte ihre Vorschläge für pragmatisch falsch oder ihr ganzes Weltbild für naiv halten, aber ihr Idealismus verlangte und gewann Respekt. Mit den Protesten gegen den Golfkrieg verhielt es sich etwas anders. Damals begann die Friedfertigkeit auch vielen liberalen und linken Beobachtern unbehaglich zu werden. Wie stand es wirklich um die moralische Substanz eines Pazifismus, der die völkerrechtswidrige Okkupation Kuwaits hinzunehmen bereit war, dem ein Schlächter wie Saddam keine schlaflosen Nächte bereitete und der für die Existenzbedrohung Israels nicht viel mehr als ein Achselzucken übrig hatte – wenn nicht sogar gelegentlich ein antisemitisch gefärbtes „Selber schuld!“ an die Adresse des jüdischen Staates hörbar wurde? Damals begann, was sich im Angesicht der völkermörderischen Vertreibungen auf dem Balkan voll entfaltete, die Entwicklung eines progressiven „Bellizismus“, der als letzte Abhilfe gegen die Unmenschlichkeit auch die Entsendung von Bombern und Truppen guthieß.

Die Lage vor einem möglichen Angriff auf den Irak ist wiederum eine andere. Auch wer Kuwait gewaltsam befreit sehen oder die ethnischen Säuberungen im Kosovo gestoppt wissen wollte, mag jetzt vielleicht keine Rechtfertigung für eine Intervention erkennen. Es gibt keine intellektuelle „Kriegspartei“. Der Balkan-Bellizist Peter Schneider etwa oder Micha Brumlik, dem die deutsche Friedensbewegung im Golfkonflikt unerträglich wurde, sind strikt gegen einen preemptive strike, einen Präventivschlag. Es gilt keinen akuten Genozid zu verhindern, und der rechtliche Grund eines Einmarschs wäre, vorsichtig gesprochen, schwankend. Die Sache des Friedens, könnte man sagen, ist diesmal moralisch wieder so stark wie seit langem nicht.

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Quelle: Jan Ross, „Dann gibt es nur eins: nie wieder!“, Die Zeit, Nr. 1, 2003.

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