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Pazifismus in der Bundesrepublik (Januar 2003)

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Man stößt da übrigens nebenbei auf einen charakteristischen West-Ost-Unterschied. Christian Ströbeles Wahlkreis umfasst Kreuzberg und Friedrichshain, also je einen Bezirk aus den beiden Stadthälften des einst geteilten Berlin, stark grün geprägt der eine, mehr rot-rot, postsozialistisch-sozialdemokratisch der andere. Ströbeles Antimilitarismus findet hier wie da starken Zuspruch. Aber in Kreuzberg, im emanzipatorisch-alternativen Publikum, bleibt die neue Joschka-Fischer-Doktrin von der bewaffneten Humanität nicht ganz ohne Echo und Wirkung. Wie war es denn mit den Massakrierten von Srebrenica oder den geknechteten Frauen der Taliban – kann, muss man da nicht eingreifen? Im Gegenzug brechen dann freilich wieder die alten antiimperialistischen Gewissheiten durch: Es geht in Wahrheit bloß um billiges Benzin, Bush ist ein Mann des militärisch-industriellen Komplexes und so weiter, und so fort.

In Friedrichshain, so Ströbele, ist das Klima anders, „eine tiefe, ruhige Grundstimmung“ gegen alle Kriegsgewalt. Keine aggressive Systemfeindschaft wie etwa in der Autonomen-Szene des Westens. Aber auch keine Sympathie für Militärinterventionen im Dienste der Menschenrechte. Der Osten wirkt überwiegend nicht ansprechbar für jenes Argument, das der bundesdeutschen Linken und zumal den Grünen den Pazifismus immer zweifelhafter gemacht hat – dass nämlich Freiheit und Recht sich manchmal nur mit Gewalt schützen oder wiederherstellen lassen, im Extremfall also: dass Krieg nötig war, um die Todesmühlen von Auschwitz zum Halten zu bringen.

Gleichviel: Es bleibt der verbreitete Wahrnehmungsunterschied zwischen „polizeilicher“ Militärintervention, die weithin hingenommen wird, und „echtem“ Staatenkrieg, der Furcht und Abwehr auslöst. Die Unterscheidung ist nicht grundlos, sie kann jedoch einer neuen Art von Realitätsverweigerung Vorschub leisten. Wohl bildet sich allmählich ein Konsens darüber heraus, dass man den Risiken von Terrorismus, ethnischen Unruhen und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bisweilen nicht anders als durch Zwang und Gewalt begegnen kann. Zugleich ist aber die Hauptbotschaft: So, wie das Pentagon es sich vorstellt, lässt sich damit jedenfalls nicht umgehen. Es gibt eine Flut gescheiter Kommentare und Traktate über die „asymmetrische“ Natur heutiger Konflikte, in denen Armeen nicht mehr viel nützen gegen fanatisierte Einzelkämpfer und schattenhafte Terrornetzwerke; Erhard Eppler, dem der Bundeskanzler bisweilen sein Ohr leiht, zeichnet ein globales Panorama „privatisierter Gewalt“ von Warlords, Drogenbanden und Glaubenspartisanen, in dem al-Qaida als eine Art multinationales Unternehmen des Schreckens figuriert.

Daran ist gewiss viel wahr. Aber dass Staaten bei diesem Problem eine Rolle spielen können, und zwar nicht nur als failing states, wo der Kollaps der öffentlichen Ordnung die Einnistung des Verbrechens erlaubt, sondern auch durch state sponsorship, durch die Bereitstellung einer Infrastruktur für den Terrorismus – das wird bei der Fixierung auf die „privatisierte Gewalt“ ausgeblendet. Hier beginnt dann doch die tabuisierte Zone des Krieges. Man will „weiter“ sein als die anderen, die dinosaurierhaften Schlachtrösser der Supermacht – vielleicht nicht mehr als Avantgarde der Gewaltlosigkeit, wie sich viele entspannungsfreudige Deutsche in den Zeiten der Blockkonfrontation empfanden, aber nun durch die tiefere Einsicht in das Wesen der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, denen nicht mit Rezepten à la Rumsfeld beizukommen ist. Eine gewisse Neigung zu Besserwisserei und selektiver Wirklichkeitswahrnehmung ist geblieben.

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