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Die Konservativen: Friedrich Julius Stahl: „Was ist die Revolution?” (1852)

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Die Revolution fordert die Aufhebung aller erworbenen Rechte für das Volkswohl.

Die Revolution fordert endlich eine neue Vertheilung der Staaten nach den Nationalitäten wider das Völkerrecht: daß alle Deutschen einen Staat bilden für sich, und alle Polen einen für sich, und alle Italiener einen für sich u. s. w., und daß alle Verträge und Herrscherrechte, die dem entgegenstehen, vernichtet seien.

Diese Forderungen, bald in der, bald in jener Gestalt, bald gesteigert, bald abgeschwächt, sind es, welche seit 1789 bis zu dieser Stunde gestellt werden.

Die innerste Triebfeder aller dieser Forderungen aber, was ist sie anders, als daß die Menschen sprechen in ihrem Herzen:

Wir wollen keinem Könige gehorchen, der durch Gottes Fügung über uns gesetzt ist, sondern nur den Deputirten, die wir selbst wählen, und nur so lange wählen, als sie unseren Willen thun; deshalb soll entweder kein König mehr sein, oder, wenn er ist, soll er dem Willen der Mehrheit unserer Deputirten gehorchen.

Wir wollen in unserem gesellschaftlichen Verbande nur uns selbst schützen, daß Keiner von uns getödtet, beraubt, ihm ein Vertrag gebrochen werde, nicht aber die Gebote Gottes in demselben handhaben. Wenn die Ehegatten nur unter einander einverstanden sind, und von einer anderweiten Ehe mehr Glück hoffen — was kümmert uns das Gebot Gottes: daß, was Gott zusammengefügt, der Mensch nicht scheiden soll? Wenn die Todesstrafe nicht nöthig ist für Erhaltung der Gesellschaft, d. h. zu unserem Schutze, — was kümmert uns Gottes Auftrag der Gerechtigkeit: daß, wer Blut vergossen hat, des Blut wieder vergossen werde? Wenn der Gotteslästerer nicht zufällig andere Menschen beleidigt, etwa die Religionsgesellschaft der Christen oder der St. Simonisten, was haben wir für Gottes Ehre zu sorgen und den Lästerer zu strafen?

Wir unterwerfen uns nicht Gottes Weltplan, nach welchem einem Jeden von uns eine gliedliche Stellung zugewiesen ist und damit verschiedener Beruf und verschiedenes Recht, sondern wir stabiliren über Gottes Weltplan das absolute Menschenrecht als einen Felsen von Erz. Nach diesem sind alle einander gleich, und dürfen nicht besondere Rechte und nicht besondere Bande unter ihnen bestehen.

Wir fragen nicht danach, ob Gott eine Religion geoffenbart hat, deren Bewahrung und Erfüllung er auch von den Völkern und ihren Obrigkeiten fordert, sondern was ein Jeder von uns über Religion meint und will, das muß gelten um seines Willens wegen, und die Meinung des einen soviel als die Meinung des andern. Gottes Gebot kann dem Evangelium keine öffentliche Geltung verschaffen gegen den Willen der Nichtchristen im Staate. Es darf daher nicht die Seele und Vorbedingung der obrigkeitlichen Aemter, nicht die Substanz des öffentlichen Unterrichts sein.

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