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Chinesische Touristen genießen den Geschwindigkeitsrausch auf der Autobahn (22. Juli 2004)

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Eine Reise, aus europäischer Sicht war das in den vergangenen Jahrzehnten der neugierige Blick auf rückständigere Länder – mal arrogant, mal mitleidig, immer aber mit der Gewissheit, nach zwei Wochen in die hochentwickelte Heimat zurückkehren zu können. Stets war es der Westen, der sich derart überlegen über die anderen beugte. Jetzt steht Guofeng Wang über Würzburg und blickt hinab auf eine Welt voller Kopfsteinpflaster und dicker Mauern, mit Efeu bewachsen. Kein Schornstein, keine Chipfabrik, kein Wolkenkratzer, nichts. Und die Sozialleistungen sieht man von hier oben nicht.

Reiseleiter Ding holt zu einer weiten Armbewegung aus, zeichnet mit der Hand die Hügel am Horizont nach und erklärt seinen Gästen die deutsche Kleinstaaterei mit ihren Kurfürsten und Königen. »Im Prinzip haben die Deutschen deshalb auch die EU gegründet und den Euro eingeführt«, sagt er dann. »Damit sie mithalten können mit Amerika, mit Japan, vielleicht auch mit China.«

Bedächtiges Nicken.

Plötzlich ist Globalisierung mehr als nur ein Wort in der Antrittsrede des Bundespräsidenten. Die Welten verschieben sich; Guofeng Wang macht mit seiner Olympus-Kamera gerade eine Momentaufnahme. Ist es die Zukunft oder die Vergangenheit, die er fotografiert? Besichtigen hier Vertreter einer neuen Hochkultur die Relikte einer alten Hochkultur? Es ist ja überall zu lesen in Doi Tse Lan: Das 19. Jahrhundert war das europäische, das 20. Jahrhundert war das amerikanische – und das 21. Jahrhundert wird das asiatische sein.

Aber stimmt das überhaupt, Herr Wang?

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Die Straßen sind voll an diesem Tag. Wieder Wohnmobile. Kombis. Fahrräder auf Autodächern. Doi Tse Lan macht Urlaub. Ach ja, die Deutschen haben ja 30 Tage Urlaub! Jedes Jahr? Guofeng Wang hat 15. Im letzten Jahr hat er nicht einen genommen, im vorletzten auch nicht. »Too much work«, sagt er. Er arbeitet von Montag bis Samstag. Sicher hätte die FDP den Mann aus der Volksrepublik gern als Redner auf ihrem Parteitag.

Am Horizont erscheinen bleistiftspitz die Türme von Rothenburg ob der Tauber. »Prepare to keep right«, sagt das Navigationssystem… 100… 90… 80… gelbes Ortseingangsschild wie im Prospekt, und wieder altes Europa. Chinesische Reisegruppen begegnen japanischen Reisegruppen, japanische Reisegruppen begegnen amerikanischen Reisegruppen, durch die Gassen schallt das Hufgeklapper von Touristenkutschen. Kan Chen fotografiert Pferdeäpfel. Ein bis zur Unkenntlichkeit getunter BMW lenkt von den anderen Sehenswürdigkeiten ab. In den Geschäften stehen Nussknacker und Bierkrüge, in den Schaufenstern spiegelt sich das ratlose Gesicht von Qing Li. Er zögert kurz und fragt dann, ob in Rothenburg noch Menschen wohnen.

So rauschen sie durch die Tage. Von Würzburg nach Rothenburg und von Rothenburg nach Dinkelsbühl, ein wie vor Jahrhunderten konserviertes Städtchen, Leuchtreklame verboten. Im Rathaus überreicht der Oberbürgermeister den »kinesischen Freunden«, wie er sie nennt, Urkunden, die bezeugen, dass seine Gäste die Romantische Straße befahren haben. Fast devot bittet er dann, »allen Kollegen in Kina« von Dinkelsbühl zu erzählen. Es gibt schon jetzt mehr asiatische als amerikanische Touristen in seiner Stadt, viele Japaner, doch die Chinesen sind die Zukunft. Seit zwei Jahren erst dürfen sie privat nach Deutschland reisen. 2020 rechnet man weltweit mit 130 Millionen reisenden Chinesen pro Jahr. Da will Dinkelsbühl nicht abseits stehen. Der Bürgermeister gibt der Vorhut der 130 Millionen schnell noch einen Bildband mit.

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