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Problematische Gedanken über Parteien: Auszüge aus dem Staats-Lexikon: „Parteien” (1845-1848)

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Aus dem Bisherigen wird somit klar geworden sein, daß der wahre, der richtige Maßstab für die Beurtheilung der Parteien nach ihrem Princip und ihren charakteristischen Merkmalen nicht etwas in gar keiner unmittelbaren Causalbeziehung zu ihnen Stehendes sein kann, sondern in dem Verhältniß liegen muß, in welches sie in ihren Bestrebungen und Tendenzen zu dem „allgemeinen Menschlichen", zu den Interessen der Menschheit sich setzen. Dieser Maßstab, eben weil er das Höchste, das Allgemeine bezeichnet, kann vernünftiger Weise allein an das Untergeordnete, an das Besondere gelegt werden, und gegenüber der Gesammtheit sind die einzelnen Parteien untergeordneten Grades. Dieser Maßstab, wie er der Unbestimmtheit der herrschenden Begriffe ein Ende machte und die Parteinamen radical, liberal, conservativ, absolutistisch, Justemilieu auf ihre wahre Bedeutung zurückführt, so muß er auch eine Theorie in ihrer Blöße zeigen, die auf einer rein willkürlichen Spielerei mit Redensarten beruht. Der Radicale, wenn er Sonderinteressen zum letzten Zweck seiner Bestrebungen macht, hat eben so wenig Werth als der Liberale, der demselben Fehler verfallen ist, oder der Conservative, oder der Absolutist, die diesem Fehler verfallen sein müssen. Jener Maßstab ist der allein richtige Prüfstein der Parteien; des Radicalismus, des Liberalismus, des Conservatismus, des Absolutismus, des Justemilieu, denn er weist an jeder Partei die Aechtheit nach, zeigt, in wie weit sie mit falschen Bestandtheilen legirt ist. Jener Maßstab enthält auch allein für jede einzelne Partei die Berechtigung zur Herrschaft. Nicht darauf kommt es an, ob sie liberal oder conservativ, radical oder vermittelnd sich nennt, ob sie die Minorität oder die Majorität für sich hat, sondern es kommt allein darauf an, ob sie Privilegien oder allgemein menschliche Interessen, ob sie die Vortheile einzelner Classen oder das Wohl des Ganzen, ob sie Rechte Einzelner oder das Recht aller Einzelnen verficht. Factisch kann jede Partei herrschen, rechtlich nur die demokratische.



Quelle: Carl von Rotteck und Carl Welcker, Hg., Das Staats-Lexikon: Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, zweite neubearbeitete und vermehrte Auflage. Altona: Verlag von Johann Friedrich Hammerich, 1845-48, Bd. 10, S. 480, 493-96.

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