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Klassizismus: Auszüge aus Johann Wolfgang von Goethes Gesprächen mit Johann Peter Eckermann (1824-1828)

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Dienstag, den 22. März 1825

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»Ältere Personen«, bemerkte ich, »die jene Zeit erlebt haben, können mir nicht genug rühmen, auf welcher Höhe das weimarische Theater damals gestanden.«

»Ich will nicht leugnen«, erwiderte Goethe, »es war etwas. – Die Hauptsache aber war dieses, daß der Großherzog mir die Hände durchaus frei ließ und ich schalten und machen konnte, wie ich wollte. Ich sah nicht auf prächtige Dekorationen und eine glänzende Garderobe, aber ich sah auf gute Stücke. Von der Trägodie bis zur Posse, mir war jedes Genre recht; aber ein Stück mußte etwas sein, um Gnade zu finden. Es mußte groß und tüchtig, heiter und graziös, auf alle Fälle aber gesund sein und einen gewissen Kern haben. Alles Krankhafte, Schwache, Weinerliche und Sentimentale sowie alles Schreckliche, Greuelhafte und die gute Sitte Verletzende war ein für allemal ausgeschlossen; ich hätte gefürchtet, Schauspieler und Publikum damit zu verderben.

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Mittwoch, den 17. Januar 1827

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Von der altdeutschen Zeit kam das Gespräch auf die gotische. Es war von einem Bücherschranke die Rede, der einen gotischen Charakter habe; sodann kam man auf den neuesten Geschmack, ganze Zimmer in altdeutscher und gotischer Art einzurichten und in einer solchen Umgebung einer veralteten Zeit zu wohnen.

»In einem Hause,« sagte Goethe, »wo so viele Zimmer sind, daß man einige derselben leer stehen läßt und im ganzen Jahr vielleicht nur drei-, viermal hineinkommt, mag eine solche Liebhaberei hingehen, und man mag auch ein gotisches Zimmer haben, so wie ich es ganz hübsch finde, daß Madame Panckoucke in Paris ein chinesisches hat. Allein sein Wohnzimmer mit so fremder und veralteter Umgebung auszustaffieren, kann ich gar nicht loben. Es ist immer eine Art von Maskerade, die auf die Länge in keiner Hinsicht wohltun kann, vielmehr auf den Menschen, der sich damit befaßt, einen nachteiligen Einfluß haben muß. Denn so etwas steht im Widerspruch mit dem lebendigen Tage, in welchen wir gesetzt sind, und wie es aus einer leeren und hohlen Gesinnungs- und Denkungsweise hervorgeht, so wird es darin bestärken. Es mag wohl einer an einem lustigen Winterabend als Türke zur Maskerade gehen, allein was würden wir von einem Menschen halten, der ein ganzes Jahr sich in einer solchen Maske zeigen wollte? Wir würden von ihm denken, daß er entweder schon verrückt sei oder daß er doch die größte Anlage habe, es sehr bald zu werden.«

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