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Friedrich Diesterweg: „Pädagogisches Krebsbüchlein” (1856)

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10. Wie man Lehrer zu Abrichtern stempelt

1. Man präpariere sie für das Seminar vorzugsweise durch wörtliches Auswendiglernen biblischer Geschichtsbücher (von 300 bis 500 Seiten von Zahn, Preuß, Otto Schulz und ähnlichen ausführlichen Schriften), 30 bis 50 oder 80 Kirchen- oder Gesangbuchs-Kern- und Sternlieder, nebst der entsprechenden Dosis von Bibelsprüchen, Psalmen, Perikopen usw.!
2. In dem Seminar dressiere man sie ad hoc!
3. Halte ihnen allgemeine Bildungsmittel (Weltgeschichte, Naturwissenschaften, deutsche Literatur usw.) fern!
4. Schreibe ihnen im Amte die Einübung des Katechismus in einem so frühzeitigen Alter der Kinder vor, daß sie zu mechanischem Verfahren genötigt werden!
5. Verlange von den Schulkindern das fertige, wortgetreue Auswendigwissen einer übergroßen Masse kirchlich-religiöser Stoffe und beurteile danach den Wert der Schule und des Lehrers!
6. Schreibe ihnen die Bücher (Zeitschriften usw.) vor, die sie lesen sollen!
7. Man halte sie ab von der Vereinigung mit geistig geweckten Kollegen und freien Vereinen überhaupt!
8. Man stelle sie nicht bloß unter die Aufsicht strenggläubiger Theologen (der sogenannten Konfessionalisten), sondern lasse auch durch diese, damit die Lehrer in einseitiger Richtung fortgeleitet werden, die amtlich vorgeschriebenen Lehrervereine dirigieren!
9. Man spreche ihnen die Befähigung, Gemeinde- und kirchliche Ehrenämter zu übernehmen, und das Recht, an den Verhandlungen ihres Schulvorstandes teilzunehmen, ab!
10. Man überlade die Schule mit einer übergroßen Zahl von Schulkindern von möglichst verschiedenem Alter (80, 100, 150, 200 und mehr – je mehr, desto besser)!
11. Man befördere sie zu besseren Stellen – absehend von ihrer Schultätigkeit – , je nach ihrem Eifer für kirchliche Zwecke, Missions- und Traktatenvereine, Mäßigkeitsgesellschaften u. dgl.!
12. Man besolde sie so, daß sie sich in der Stadt durch Privatstunden, auf dem Lande durch Ackerwirtschaft abarbeiten müssen!

Traun, durch diese und die ihnen verwandten Mittel darf man mit Sicherheit auf die Bildung eines Lehrerstandes rechnen, der wohl abzurichten, aber nicht zu unterrichten, nicht zu bilden, die Menschennatur nicht zu entwickeln versteht. –

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