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Friedrich Diesterweg: „Pädagogisches Krebsbüchlein” (1856)

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2. Regeln für die Bildung mechanischer (mechanisch wirkender) Menschen

Unter „Mechanismus" versteht man die Einrichtung, durch welche Tätigkeiten auf äußere Antriebe erfolgen. Die bewegende Kraft liegt außerhalb der Maschine. Befindet sich die bewegende Kraft im inneren Wesen der Stoffe, so ist das zusammengehörige Ganze nicht ein Mechanismus, sondern ein Organismus. Uhren, Mühlen, Lokomotiven usw. sind Maschinen; der menschliche Leib, das Weltall usw. sind Organismen.

Daraus folgt als allgemein gültige, einzige Regel für die Bildung mechanisch tätiger (mechanisch denkender, mechanisch empfindender, mechanisch handelnder) Menschen die: Setze dieselben durch äußere Antriebe in Tätigkeit! Spezieller für die drei Richtungen menschlicher Tätigkeit: Halte die Einsicht in das Wesen der Dinge von ihnen ab! Gewöhne sie, ihre Empfindungen nach äußeren Regeln (der Sitte und Mode, der kirchlichen Vorschriften, des Herkommens usw.) zu bemessen; lehre sie, ihre Handlungen nach von anderen gegebenen Vorschriften zu bestimmen!

Nach diesen für unseren Zweck ausreichenden Bemerkungen braucht nur, im besonderen Bezuge auf den Schulunterricht, gesagt zu werden, welches die vorzüglichsten Arten mechanischer Verfahrungsweisen und Tätigkeiten in der Schule sind.

1. Das Buchstabenschreiben bloß nach gegebenen Vorschriften (besonders in alter Weise des Vorschreibens der Buchstaben mit der Bleifeder, mit oder ohne Verbindung mit der Handführung) ist Mechanismus.
2. Das Lesen nach der Buchstabiermethode ist Mechanismus.
3. Das Nachsingen vorgesungener Melodien ist Mechanismus.
4. Das Rechnen und Messen nach unbegriffenen Regeln ist Mechanismus.
5. Das Abzeichnen von Körpern nach Vorlegeblättern ist Mechanismus.
6. Das Auswendiglernen nach dem Klange und dem Reim der Wörter ist Mechanismus. (Das judiziöse Auswendiglernen oder Behalten ist nicht Sache der Kinder; ihr Auswendiglernen ist mehr oder weniger mechanisch; selbst das richtig betonte Hersagen des Katechismus geschieht in der Regel mechanisch.)
7. Das regelrechte Verhalten der Kinder infolge des Gehorsams gegen äußere Befehle ist Mechanismus.
8. Das gewohnheitsmäßige Hersagen von auswendig gelernten Gebeten ist Mechanismus.
(Gebetsübungen sind potenzierter Mechanismus.)
9. Die Annahme der Glaubensbekenntnisse auf das Ansehen der Eltern und Lehrer ist Mechanismus. 10. Die Verrichtung „frommer Gebräuche und Handlungen" auf Befehl der Kirche ist Mechanismus.
11. Das Unterlassen verbotener Handlungen aus Furcht vor Strafe (Hölle) und das Ausüben guter Handlungen aus Hoffnung auf Lohn (im Himmel) ist Mechanismus.
12. Der Autoritätsglaube ist Mechanismus.

Aus obigen allgemeinen und aus diesen spezielleren (zwölf) Sätzen folgen die Regeln für den Zweck, mechanische Menschen zu bilden, sie zu mechanischem Denken, zu mechanischem Empfinden und zu mechanischem Tun abzurichten.

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