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Ein ostdeutscher Journalist kommentiert das Fehlen deutscher Einheit (25. August 2005)

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Wer im Osten heranwächst, geht zur Jugendweihe

Mit knapp 60 000 Euro verfügen ostdeutsche Haushalte über lediglich 40 Prozent des Durchschnittsvermögens West. 1991 betrug der Abstand zwischen dem Haushaltsnettoeinkommen 1440 D-Mark. Er verringerte sich auf 730 D-Mark im Jahr 1996. Der heutige Abstand ist mit 662 Euro wieder größer. Im Jahr 2002 hat ein ostdeutscher Durchschnittshaushalt 82 Prozent des westdeutschen Nettoeinkommens erreicht.

Wer im Osten heranwächst, geht zur Jugendweihe, nicht zu Konfirmation oder Kommunion. In seiner Nachbarschaft leben deutlich weniger Ausländer als im Westen. Nach der Wende hat sich eine eigene ostdeutsche Identität herausgebildet, ein deutliches Bekenntnis, nicht dazuzugehören, anders zu sein. Zu ihr bekennen sich seit Jahren unverändert mehr als 70 Prozent der Ostdeutschen. Dem antworten auf der anderen Seite Desinteresse, Ignoranz und Umerziehungsphantasien. Nach einer Allensbach-Umfrage stehen die Brüder und Schwestern im anderen Landesteil Ost- wie Westdeutschen ebenso nah oder fern wie Österreicher.

Das ist die Realität, vor der die Prediger der „inneren Einheit" gern die Augen verschließen. Selbstverständlich sind Ostdeutsche weder durch Geburt noch durch Erziehung oder Propaganda deformiert oder unfähig zum Leben in Freiheit. Die 2,4 Millionen von ihnen, die seit 1990 in den Westen gezogen sind, haben sich erfolgreich und weitgehend geräuschlos integriert. Die neuen Länder selber aber haben sich in dieser Zeit als eine unterentwickelte, randständige Region stabilisiert.

Dass hier eine andere soziale Temperatur herrscht, oft andere Werte gelten, dürfte nicht überraschen. Nur Barbaren können erwarten und wünschen, dass 55 Jahre unterschiedlicher Entwicklung spurlos an den Menschen vorübergehen. Warum aber fällt es so schwer, diese Unterschiede zu akzeptieren und zu begreifen, dass die deutsche Einheit – wie jede gute Ehe – nur als Summe ihrer Konflikte zu haben ist?


Brav zahlen und nicht nachfragen

Im vergangenen Jahr sah es beinahe so aus, als könnte sich das ändern. Als die Expertenkommission um Klaus von Dohnanyi und Edgar Most die Förderinstrumente des Aufbau Ost musterte und zum Ergebnis kam, dass sie ungeeignet seien, einen selbsttragenden Aufschwung herbeizuführen, als der Spiegel fragte: „1250 Milliarden - Wofür?", gab es ein Innehalten, und die Gelegenheit schien gekommen, sich von der Routine der Transferzahlungen zu verabschieden.

Hier und da hat sich etwas getan. Das Land Brandenburg entwickelte ein Konzept, die Fördermittel auf Leuchttürme zu konzentrieren. Kürzlich hat der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) gefordert, die Investitionszulage für die neuen Länder demnächst auslaufen zu lassen.

Im Großen und Ganzen aber blieb die notwendige Kurskorrektur beim Aufbau Ost aus, der Transferwahnsinn geht weiter: mit zu wenig Mitteln für Investitionen und zu viel für Konsum, mit kaum vorhandenen Wettbewerbsvorteilen für ostdeutsche Unternehmen, mit aberwitzigen Infrastrukturprojekten, mit zweckwidrigem Einsatz der Mittel. Dass nach OECD-Berechnungen zwei Drittel der deutschen Wachstumsschwäche auf die Belastungen durch die Vereinigung zurückgehen, scheint die Westdeutschen nicht zu beunruhigen. Sie zahlen brav weiter und fragen kaum nach.

Das unerfüllbare Versprechen von der „Angleichung der Lebensverhältnisse" ist noch immer nicht aus der Welt, obwohl es in weiten Teilen der neuen Länder darum geht, eine Abwärtsentwicklung zu verhindern und den Teufelskreis aus wirtschaftlicher Schwäche, Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Überalterung und Transferbedarf zu durchbrechen.

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